Justifiers - Hard to Kill: Justifiers-Roman 8 (German Edition)
seufzen, einige Tage nach ihrer ersten gemeinsamen Mission.
Nox antwortete: Wenn du in solchen Begriffen sprechen willst, mach es wenigstens richtig – er ist gar kein Messer. Vielleicht ein Plastiklöffel, wenn’s hochkommt . Auch das hatte er gehört. Er hörte alles. Er legte keinen Wert darauf, ein scharfes Messer zu sein. Er hätte lieber jemanden gehabt, der ihm jetzt sagte, was er tun sollte. Aber da war niemand. Niemand. Niemand.
Aus dem hinteren Teil der Höhle drang ein Scharren. Der Kokon bewegte sich.
Von der Anstrengung des ergebnislosen Denkens stieg Arris’ Puls auf das Doppelte der Ruhefrequenz. Kleine Drüsen entlang seiner Wirbelsäule interpretierten es in Kombination mit den Stresshormonen als Kampfbereitschaft und leiteten eine Extraportion Adrenalin und anderes Zeug in sein Blut, es war, als ergieße sich flüssiges Feuer durch seine Adern und schrie ihn an: Tu was! Tu was! TU WAS!
Aber was er tun sollte, das sagte es nicht.
»Nelly«, stieß Arris hervor, wartete auf Antwort, bekam keine, ging nach draußen und aktivierte das JUST . »Morbus«, sprach er hinein, sein Atem kitzelte heiß und trocken an seinem Handgelenk. »Bitte kommen. Morbus, bitte kommen. Over.«
Nichts. Die Sonne brannte auf seinem Gesicht. Als er sich umwandte, war die Bewegung so schnell, dass es einem unbeteiligten Beobachter vorgekommen wäre, als sähe er eine Gestalt, die im Zeitraffer in eine ganz normale Umgebung hineingeschnitten worden war.
Nelly. Still, reglos. »Nelly«, sagte er. »Nelly.«
Keine Antwort.
Er marschierte wieder nach draußen.
Hinten in der Höhle schnitten scharfe Krallen von innen durch die feinporige Membran, die das Alien umgab. Dunkler Schleim quoll heraus, mittendrin eine schmale Schnauze mit verklebten Nüstern. Arris’ Sinne registrierten das Geräusch, die Bewegung, die Bedrohung, und sendeten die Informationen mit übermenschlicher Geschwindigkeit und Präzision weiter. In der Schaltzentrale gab sein überfordertes Hirn ihnen eine Nummer und hieß sie im Wartezimmer Platz nehmen.
Er raste nach draußen, die Schritte jetzt so stark beschleunigt, dass es aussah, als würde er rennen. »Morbus«, sendete er. »Bitte kommen.«
Als er wieder hineinkam, war das Alien aus dem Kokon geglitscht und kämpfte sich auf die Beine. Es war benommen, aber seine erwachenden Sinne suchten die Umgebung bereits hungrig nach Informationen über sein Rudel und seine Beute ab. Zwei Silben drangen an Sinnesorgane, die nicht ganz exakt den Zweck von Ohren erfüllten, Silben, die ihm nichts sagten, Laute, die keinen seiner Instinkte ansprachen: nel-ly .
Dann: Erschütterungen. Kleine Erschütterungen, nicht die schweren und rhythmischen, auf die es gewartet hatte. Aber da war etwas, das nicht Artgenosse war, es entfernte sich. Und da war noch etwas anderes, das nicht Artgenosse war, es lag reglos auf dem Boden.
Was lebte, war Artgenosse oder Beute. Beides, das, was sich bewegte und das, was still dalag, war nicht Artgenosse. Also war es Beute.
Wenn Arris gewusst hätte, wie komplikationslos Entscheidungen in dem primitiven Gehirn des Wesens getroffen wurden, das Morbus Lucie getauft hatte, wäre er vor Neid tot umgefallen. Auch der kurze Konflikt, ob es die sich bewegende Beute sein sollte oder die, die still am Boden lag, war rasch entschieden. Die Beute, die sich noch bewegte, war klein und zu bewältigen. Was am Boden lag, konnte nicht mehr wegrennen, konnte also warten. Noch nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte, taumelte der frisch geschlüpfte Jäger auf Arris zu.
19
»Dass Sie ausgerechnet zu mir kommen – wissen Sie, ich habe seit meinem vierzehnten Geburtstag nichts mehr von meinem Bruder gehört oder gesehen. Er hat sämtliche Familienfeiern gemieden. Selbst als ich geheiratet habe, hat er nur auf der Karte von Wolf mit unterschrieben, und das war’s. Nicht vorbeigekommen, nicht angerufen, keine persönliche Zeile. Die Geburt unseres ersten Kindes: keine Reaktion. Beim zweiten haben wir schon gar nicht mehr damit gerechnet. Wir waren immer sehr unterschiedlich, vermutlich lag es daran. Aber ich hätte mir mehr gewünscht. Mehr Interesse, mehr Anwesenheit, mehr – irgendwas. Im Grunde haben wir uns nie richtig kennengelernt. Ich habe keine Ahnung, wer Peter eigentlich wirklich ist, ich weiß nur, wo er in den ersten siebzehn Jahren seines Lebens gewohnt hat. Und ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Mit Wolf …
Ja, Wolf. Unser Cousin. Mit dem hatte er immer
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