Justiz
Tonhalleorchester und unser Opernhaus nicht ins ganz und gar Mittelmäßige sinken, der Klemperer, Bruno Walter, ja sogar Karajan verlockte, bei uns zu dirigieren, und jetzt Mondschein protegiert, so daß er unsere Stadt, die er duch Neu- und Umbauten so gründlich verschandelt, wenigstens wieder etwas musisch verklärt.
Er erkannte mich auf der Stelle. Der Morgen war wie gesagt föhnig und warm, man fühlte sich zu Hause, war wie gelähmt und verhext in der Schlappheit des Klimas, saß zuammengedrängt, ich an Friedli geklebt, der bester Laune war, einen Gipfel um den anderen in einen Milchkaffee um den anderen tunkte, unmäßig, schmatzend, schlürfend, der Kaffee lief in braunen Streifen über seine seidene Krawatte und über das weiße Hemd.
Der Ursprung seiner Freude war eine Todesanzeige in unserem 47
weltbekannten Lokalblatt. Es hatte Gott dem Herrn gefallen, durch einen tragischen Unfall »unseren unvergessenen Gatten, Vater, Sohn, Bruder, Onkel, Schwiegersohn und Schwager Otto Erich Kugler zu sich zu rufen. Sein Leben war lauter Liebe.«
»Ihr Feind?« fragte ich.
»Mein Freund.«
Ich kondolierte.
»Da muß er gegen Cham und in einen Baum sausen, der brave, gute, liebe Kugler«, erläuterte Friedli, strahlend, Kaffee schlürfend, Gipfel tunkend und essend, »kugelt ins ewige Leben.«
»Das tut mir leid«, sagte ich.
»Seinen Fiat sollten Sie erst gesehen haben, ein einziges Blechschlamassel.«
»Schauerlich.«
»Schicksal. Müssen alle mal sterben.«
»Offenbar«, sagte ich.
»Mensch«, sagte er, »Sie wissen wohl gar nicht, was dieser Schicksalsschlag für meine Wenigkeit bedeutet?«
Ich wußte es nicht. Die massive Wenigkeit glotzte mich freundschaftlich an.
»Kugler hinterläßt eine Witwe«, erklärte er, »ein herrliches Weib.«
Mir ging ein Licht auf: »Und dieses herrliche Weib wollen Sie nun heiraten.«
Architekt Friedli schüttelte jenen Teil seines Fettes, in welchem man den Kopf vermuten konnte: »Nein, junger Mann, ich will nicht die Witwe heiraten, sondern die Frau ihres Geliebten. Auch ein Prachtweib. Kapiert? Ganz einfach: Heiratet der Liebhaber die Witwe, muß er sich vorher scheiden lassen, und dann heirate ich seine Frau.«
»Gesellschaftsmathematik«, sagte ich.
»Kapiert.«
»Nur müssen Sie sich dann auch scheiden lassen«, gab ich zu bedenken und hoffte vage auf ein Geschäft.
»Bin ich. Schon seit einer Woche. Meine fünfte Scheidung.«
Wieder nichts.
Der Kellner brachte neue Gipfel. Eine Schulklasse lief über den 48
Platz, Mädchen, einige mit Zöpfen, manche schon wie junge Frauen, ein Rudel blieb stehen, betrachtete die Standfotos vor dem Kino.
Friedli spähte nach der Gruppe.
»Sie sind doch der komische Rechtsanwalt, der sich in der Spiegelgasse ein Büro in einer Mansarde leistet?« fragte er, die Mädchen betrachtend.
Ich mußte es zugeben.
»Es ist halb zehn«, stellte er fest, grinste und wandte sich wieder zu mir, »ich will zwar nicht indiskret sein, denn ich bin ein höflicher Mensch, Spät, aber ich habe das starke Gefühl, daß Sie heute noch nicht auf ihrem Büro gewesen sind.«
»Erraten«, sagte ich, »Ihr starkes Gefühl trügt nicht. Ich werde mich vielleicht in einer Stunde oder dann heute nachmittag hinbegeben.«
»So. Heute nachmittag vielleicht.« Er betrachtete mich aufmerksam. »Lieber Spät«, sagte er, »Sie heißen irgendwie richtig.
Ich bin heute von sieben bis zehn vor neun auf einem Bauplatz herumgestampft«, sagte er bescheiden. »Ich verdiene Millionen. Gut.
Durch meine Bauten, durch meine Spekulationen. In Ordnung. Aber darin steckt Arbeit, Disziplin, verflucht nochmal. Ich saufe wie ein Loch, zugegeben, aber reiße mich dafür auch jeden Morgen zusammen.«
Der Speckkoloß legte mir väterlich den Arm um die Schultern:
»Mein lieber Spät«, fuhr er zärtlich fort, ganz fettes Riesengefühl, leuchtend vor Kaffeedampf, Gipfelbrosamen im Gesicht und an den Händen, »mein lieber Spät, ich will Ihnen einmal reinen Wein einschenken: Sie haben ausgesprochen Startschwierigkeiten, da machen Sie mir nichts vor. Das Resultat: Sie sind für einen ernsthaften Menschen nicht vorhanden. Ein Rechtsanwalt, der um neun Uhr dreißig noch nicht hinter seinem Schreibtisch sitzt, ist für einen anständigen Geschäftsmann Luft. Ich will nun nicht gründlicher in Sie dringen, nach einem Faulpelz sehen Sie mir nicht aus, aber zu einem richtigen Salto mortale ins volle Menschenleben haben Sie sich bis jetzt nicht aufraffen können. Und
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