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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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dann nach Hawaii, dann nach Samoa, ich habe also Zeit). Der Kommandant der Kantonspolizei besuchte mich nämlich. Der Besuch war wichtig. Darüber bin ich mir im klaren. Er ist wohl auch der Grund meiner nun gänzlichen Nüchternheit. Beweisen läßt sich noch nichts, doch vermute ich, daß der Kommandant ahnt, was ich vorhabe. Das wäre fatal. Dagegen spricht, daß er mir den Revolver ließ. Er kam völlig unerwartet, gegen zehn, zwei Tage nach der unglücklichen Szene im Café. Auf den Straßen Schneematsch. Er stand plötzlich in der Mansarde. Von unten her jubilierte die Sekte: »Mach dich bereit, du guter Christ, erscheint der jüngste Tag, sorg daß die Seel' gerettet ist, er kommt mit Donnerschlag.« Der Kommandant war etwas verlegen. Er schaute geniert zu meinem Schreibtisch hinüber, auf dem meine vollgekritzelten Papiere lagen.
    »Sie werden hoffentlich nicht auch noch Schriftsteller«, brummte er.
    »Warum nicht, Herr Kommandant. Wenn man was zu erzählen hat«, antwortete ich.
    »Klingt wie eine Drohung.«
    »Nehmen Sie das, wie Sie wollen.«
    Er schaute sich um, eine Flasche unter dem Arm. Auf der Couch lag leider irgendein Mädchen, das ich nicht kannte, es war einfach mitgelaufen, vielleicht ein Geschenk von Lucky, hatte sich offenbar ausgezogen und hingelegt, in falsch verstandenem Berufsethos (das Arbeitsklima unseres Landes macht sich überall bemerkbar). Es war mir völlig egal, ich hatte mich hinter die Arbeit gemacht; meine Papiere hervorgenommen.
    »Zieh dich an«, befahl er. »Du wirst dich sonst erkälten, und dann habe ich mit dem Rechtsanwalt zu reden.«
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    Er stellte die Flasche auf den Tisch.
    »Cognac«, sagte er. »Adet. Eine seltene Marke. Von einem Freund in der Westschweiz. Wollen ihn doch mal probieren. Holen Sie zwei Gläser, Spät. Sie trinkt heute nicht mehr.«
    »Jawohl, Herr Kommandant«, sagte das Mädchen.
    »Du gehst nach Haus. Arbeitsschluß.«
    »Jawohl, Herr Kommandant.«
    Sie war beinahe angezogen. Er schaute sie an, ruhig.
    »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Herr Kommandant.«
    Das Mädchen ging. Wir hörten es die Treppe hinuntereilen.
    »Sie kennen die?« fragte ich.
    »Ich kenne sie«, antwortete der Kommandant.
    Im unteren Stockwerk sang die Sekte immer noch ihren Weltuntergangschoral: »Es platzt die Sonn' mit großer Wucht, der Erdengrund vergeht. Wer dann die Seel' zu retten sucht, vor Jesu Christ besteht.«
    Der Kommandant schenkte ein. »Auf Ihr Wohl.«
    »Auf Ihr Wohl.«
    »Besitzen Sie einen Revolver?« fragte er.
    Es hatte keinen Sinn zu leugnen. Ich nahm ihn aus der Schreibtischschublade. Er untersuchte ihn, gab ihn mir wieder zurück: »Sie halten Kohler immer noch für schuldig?«
    »Sie etwa nicht?«
    »Vielleicht«, antwortete er und setzte sich auf die Couch.
    »Warum geben Sie das Spiel dann auf?« fragte ich ihn.
    Er sah mich an.
    »Sie wollen es noch gewinnen?«
    »Auf meine Weise.«
    Er schaute auf den Revolver. Ich versorgte ihn.
    »Ihre Sache«, sagte er, schenkte von neuem ein. »Nun, wie gefällt Ihnen der Adet?«
    »Großartig.«
    »Ich lasse Ihnen die Flasche hier.«
    »Lieb von Ihnen.«
    Von unten war nun eine Predigt zu hören oder ein Gebet. »Sehen 65
    Sie, Spät«, sagte der Kommandant, »Sie sind in eine etwas unglückliche Situation geraten. Ich will nun nichts gegen den ehrenwerten Herrn Lucky sagen, noch weniger gegen das arme Ding vorhin, daß es so was gibt, ist ja der Hauptsache nach nicht der Fehler der beiden, aber wie weit Sie als Hurenanwalt kommen, steht wohl auf einem anderen Blatt. Daß demnächst die Aufsichtskommission gegen Sie vorgehen muß, dürfte Ihnen wohl klar sein. Sie hat nichts gegen einen Milieuanwalt, der verdient, aber alles gegen einen, der nichts verdient. Da rebelliert die Standesehre.«
    »Na und?«
    »Sie haben mich vorhin gefragt, weshalb ich das Spiel aufgegeben habe, Spät«, fuhr der Kommandant fort, sich eine seiner dicken Bahianos anzündend, sorgfältig, ohne im geringsten zu zittern. »Ich will Ihnen gegenüber zugeben, daß ich den alten Kohler auch für schuldig halte und alles, was geschehen ist, für eine Komödie, die ich gerne verhütet hätte. Aber ich besitze keine Beweise. Sind Sie in dieser Sache weitergekommen?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Wirklich nicht?« fragte er erneut.
    Ich verneinte zum zweiten Mal.
    »Sie mißtrauen mir?« fragte er.
    »Ich mißtraue jedem.«
    »Schön«, sagte er. »Wie Sie wollen. Die Sache mit Kohler ist für mich erledigt, sie endigte mit meiner Niederlage.

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