Juwel meines Herzens
Obwohl Wayland vielleicht der schlimmere von ihnen war. »Ihr braucht mir keine Moralpredigt zu halten. Und was soll das heißen: ›bevor es zu spät ist‹?«
Wayland schlug ihm gegen die Brust. »Du klärst die Sache mit deiner Frau besser, bevor wir die Insel erreicht haben und an Land gehen. Dort gibt es Geister, und die werden dich wahrscheinlich mehr als Jewel verfolgen.«
Nolan ignorierte den Schlag, den er bei jedem anderen Mann als körperliche Herausforderung betrachtet hätte. Wie konnte Wayland nur so viel über seine Ehe wissen? Er hatte von Dingen Ahnung, die Nolan sich noch nicht einmal selbst eingestanden hatte.
Er zwang sich, seiner nächsten Frage einen höhnischen Tonfall zu verleihen, obwohl er im Geheimen eine aufrichtige Antwort erhoffte. »Und, sagt mir, Wayland, wie ändert man es, wenn einer Frau davor graut, dass man sie berührt? Allein meine Anwesenheit genügt, um Jewel an ihren toten Vater zu erinnern.«
»Ach was, das bildest du dir nur ein.«
Nolan fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Glaubt mir, das tue ich nicht.« Aber in Jewels Nähe konnte er tatsächlich nicht mehr klar denken. Ein aggressiverer und fordernder Teil seines Körpers übernahm dann die Kontrolle über ihn, und er begann, in einer Art zu handeln, die er an sich selbst hasste. Seine Leidenschaft ließ sich die Oberhand nicht nehmen, aber trotzdem konnte er noch immer ihre Angst sehen und ihren Hass.
»Mach deine Frau zu der deinen, Junge. Lass den alten Bellamy nicht zwischen euch stehen, und warte vor allem nicht mehr darauf, dass dir Jewel etwas vergibt, das du tun musstest. Übernimm die Führung, und befrei sie von der Schuld.«
Nolan schüttelte den Kopf. »Aber das verstehe ich nicht.«
Wayland stemmte die Hände in die Hüften. »Kein Mitleid mehr, Nolan. Du kannst das. Verführ sie. Sei entschlossen und hart mit ihr, wenn es sein muss. Tu es einfach. Und lass sie nicht die Schuld für etwas tragen, mit dem sie nichts zu tun hatte. Natürlich hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mit dem Mörder ihres Vaters das Bett teilt, schließlich ist sie eine warmherzige Frau mit zu viel Liebe und Güte.«
Nolan starrte auf das Deck. »Ihr habt recht. Ich habe sie nicht verdient.«
»Zumindest in diesem Punkt sind wir uns dann also einig. Du hast sie nicht verdient – jedenfalls nicht, wenn du dich weiterhin so benimmst wie jetzt. Also sei ein Mann! Es ist mehr als klar, dass Jewel dich liebt, obwohl es mir ewig ein Rätsel bleiben wird. Wir wissen beide, dass Bellamy ein grauenhafter Vater war. Und er hätte dem Mädchen nur noch mehr Leiden zugefügt, wenn er die Chance dazu gehabt hätte. Du dagegen bist jetzt ihr Ehemann. Und du könntest ein guter sein. Gib ihr, was sie will – einen Mann, der sie liebt. Sie will dich lieben. Lass sie. Sei Manns genug, die Schuld auf dich zu nehmen, und liebe sie in einer Art und Weise, bis sie so von Sinnen ist, dass sie überhaupt nicht mehr an den miserablen Vater denken kann, der sie verlassen hat.«
Waylands Worte gingen Nolan nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte Jewels Vergebung gesucht, eine Erkenntnis, die ihm selbstsüchtig aufstieß. Es war nicht ihre Aufgabe, ihn von der Schuld zu erlösen, die ihn noch immer jedes Mal beschlich, wenn er daran dachte, was er Bellamy angetan hatte.
Trotzdem klang Waylands Rat zu gut, um wahr zu sein, und da er von dem alten Piraten stammte, war er es wahrscheinlich auch nicht. Früher war Wayland Bellamy stets überlegen gewesen. Argwohn löschte Nolans Hoffnungsschimmer aus. »Lass nicht zu, dass Bellamy seiner Tochter noch mehr schadet? Was ist aus der Angewohnheit geworden, dass man nicht übel von den Toten redet?«
Wayland grinste. »Vielleicht ein plötzliches Interesse an den Lebenden.«
Nolan hakte nicht mehr weiter nach. Es war ihm gleich. Der alte Pirat hatte ihm die Augen geöffnet, der Grund dafür war ihm egal. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, würde Nolan Jewel endlich zu seiner Frau machen. Er wollte nicht länger darauf warten, dass sie ohne Zweifel an seiner Person zu ihm kam; er würde ihre Zweifel einfach wegküssen. Er erwartete nicht länger von ihr, dass sie das Bild aus ihrer Kindheit verbannte, das einen wunderbaren Mann zeigte, den es nie gegeben hatte; nein, jetzt würde er dieser wunderbare Mann sein, und zwar aus Fleisch und Blut.
Nolan fühlte sich, als wäre er im letzten Moment vom Galgen geschnitten worden. »Steigt mit mir zum Mastkorb hinauf, damit wir schauen können,
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