Juwel meines Herzens
zwischen den Piraten eine solche Bande gibt. Soweit ich weiß, hatten die Brüder untereinander doch eher ein Verhältnis wie Kain und Abel.«
Wayland lachte. »Eine hübsche Beschreibung. Trotzdem: Wenn du ihn tötest, werden die anderen schnell daraus schlussfolgern, dass du etwas Wertvolles zu verbergen hast. Deshalb halte ich es für besser, mit Jack zu verhandeln – sag ihm, dass du wie er auf Beute aus bist, und dann lass ihn ziehen.«
Nolan richtete sich auf. »Und Jewel? Was, wenn etwas schiefläuft? Meine Mannschaft –«
»Dem Mädchen wird schon nichts passieren. Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
»Das ist gar nicht nötig, weil ich das Schiff in die Luft jagen werde, falls etwas misslingt. Ich werde sie alle eigenhändig umbringen.« Nolan wusste, dass die Drohung kein leeres Versprechen von ihm war. Schon lange hatte er die Gewalt unterdrückt, zu der er fähig war. Wenn seine dunkle Seite nun für Jewels Sicherheit sorgen konnte, dann sollte sie ihm willkommen sein.
Tyrell stürmte mit einem Sprachrohr aus Blech nach vorne. »Das andere Schiff hat Kontakt mit uns aufgenommen«, sagte er. »Sie wollen, dass wir ein Boot mit Euch an Bord rüberschicken. Sie haben explizit nach Nolan Kent gefragt.«
Nolan war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nichts von dem mitbekommen hatte. Sie hatten also nach Nolan Kent gefragt – der Name seines berüchtigten Großvaters – statt nach Nolan Kenton. Sie wussten also haargenau, mit wem sie es zu tun hatten, und wahrscheinlich auch, dass sich die berühmte Schatzkarte an Bord befand. Es gab keinen einzigen Piraten, der nicht zumindest ein Mal nach dem Schatz seines Großvaters gesucht hatte. Allein um an die Karte zu kommen, würden die Männer waghalsige Risiken auf sich nehmen. Bellamy hatte diese Art von Verzweifelten und Tollkühnen damals mit seinem überlebensgroßen Ruf in Schach gehalten. Zum ersten Mal, seit Nolan seinen ehemaligen Mentor beseitigt hatte, wünschte er sich Bellamy an seine Seite zurück. Wieder starrte er Wayland an, diesmal mit unverkennbarem Vorwurf im Blick.
Das braune Auge des Piraten verengte sich. »Ich habe dir doch schon versichert, dass ich nichts darüber weiß.«
Kurzentschlossen schnappte sich Nolan das Sprachrohr und trat an die Reling. »Du kommst hier rüber, Casper.«
»Was? Ihr ladet diese Schurken an Bord unseres Schiffes ein?«, fragte Tyrell entsetzt.
»Sie holen die Enterhaken raus«, kommentierte Wayland das Geschehen.
»Tyrell, sind die Schwenkkanonen mit Schrot geladen?«
Der Leutnant zögerte, als hätte man ihn in einem unkonzentrierten Moment erwischt. »Aye, Captain.«
»Gut. Die Kanoniere sollen sie auf Caspers Großmast ausrichten.« Dann rief Nolan ohne Trichter dem anderen Schiff eine Warnung zu: »Der erste Enterhaken auf der
Integrity,
und euer Mast wird nur noch Kleinholz sein.«
Nolan spürte, wie sich etwas in ihm zu wandeln begann. Mehr und mehr überkam ihn das Gefühl, dass seine derzeitige Aufmachung viel mehr zu seinem Inneren passte als die steife Jacke mit den blank geputzten Kupferknöpfen. Er rückte das Schwert zurecht, das tief an seiner Hüfte hing, dann war er bereit für den Kampf. »Weiß Jewel, dass sie unter Deck bleiben muss?«
Wayland nickte. »Ich war immer davon überzeugt, dass du es in dir hast, Nolan. Das hier, das ist dein wahres Ich. Hart. Gebieterisch und gnaden–«
»Scharten öffnen!« Nolan hatte seinen Befehl an niemand Bestimmten gerichtet, konnte aber sofort hören, wie sich das Echo seiner Worte über das Schiff fortpflanzte. Dann folgte das hölzerne Knarzen, als die Scharten aufgestoßen und die Kanonen ausgefahren wurden.
»Wenn ihr euch jetzt ergebt, werden wir eure Mannschaft verschonen«, ertönte ein Ruf vom anderen Deck.
Aber Nolan roch einen Bluff zehn Meter gegen den Wind. Mit Jewel an Bord hatte er eine Schlacht vermeiden wollen, doch jetzt wollte er dieses Risiko wagen. Sich die Blöße zu geben und auf den Ruf einzugehen, konnte niemals funktionieren. Er hatte die Kontrolle über die Situation, und die wollte er auch behalten. »Schwing dich herüber, Casper, bevor ich dein Schiff in Trümmer lege.«
»Habe gehört, dass du zur Landratte geworden bist, Nolan, aber die Information war wohl falsch, wie ich das hier sehe. Lädst du mich zu einem Drink auf deinen Kahn ein?«, rief Jack, und obwohl er seinen ehemaligen Spitznamen verloren hatte, schwang in seiner Stimme noch immer gute Laune mit.
»Ich gebe dir fünf
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