Juwel meines Herzens
»Was soll das heißen?«
Wayland grinste. »Du gibst wirklich den perfekten Piratenkapitän ab mit deinen dunklen Augenbrauen und dem überzeugenden finsteren Blick.«
Nolan machte sich nicht länger vor, dass er irgendeine Art von Willensstärke besaß, wenn es um Jewel ging. Seine derzeitige Situation war der beste Beweis dafür. »Sagt mir, was Ihr über meine Frau wisst.«
»Es hat nichts mit ihr zu tun. Du bist das Problem. Nicht viele Frauen können sich für einen Ehemann erwärmen, der lieber mit seiner Mannschaft schläft als mit seinem Weib.«
»Ihr wisst ja nicht, was Ihr sagt.« Nolan beschattete mit der Hand seine Augen und blickte einem Seemann hinterher, der in die Takelage geklettert war, um ein verknotetes Seil zu lösen. Der Mann war geschickt und hatte die Aufgabe schnell bewältigt, so dass sich das Segel glättete und genügend von dem leichten Wind auffing, um sich zu blähen. Nolan schaute zu Wayland zurück.
Irgendwann in den letzten Monaten war ihm die verwitterte Visage des alten Haudegens nicht nur wieder vertraut geworden, sie hatte sogar etwas Tröstliches bekommen. Und das, obwohl der Ältere Nolan nie behütet hatte, auch nicht damals, als Nolan noch als Junge auf Bellamys Schiff gesegelt war. Trotzdem hatte er immer gewusst, dass er jederzeit zu Wayland kommen und ihn nach der brutalen Wahrheit fragen konnte. Selbst nachdem ihm Bellamy die Karte gestohlen und ihm versichert hatte, dass es nur zu seinem eigenen Wohl geschehen war, war es Wayland gewesen, der ihm gesagt hatte, dass er gerade übers Ohr gehauen worden war. Hätte Nolan damals so weit gedacht und ihn gefragt, ob er Bellamys Freundschaft vertrauen konnte, Nolan zweifelte heute nicht im Geringsten daran, dass Wayland ihm die Wahrheit gesagt hätte. »Jewel kann mir nicht vergeben, dass ich ihren Vater getötet habe, und –«
Wayland legte den Kopf schief und betrachtete Nolan lange. »Das ist es nicht. Sie ist viel zu sehr in dich verliebt, als dass sie einen klaren Gedanken fassen kann. Du bist es, der sich nicht vergeben kann.«
Nolan schluckte schwer. »Ich wünschte, es wäre so. Aber tatsächlich bin ich froh, dass ich Bellamys Schreckensherrschaft beendet habe. Ich bereue nur, dass ich es nicht schon viel früher getan habe.«
»Aber genau das meine ich. Du bist nicht schuldig, weil du Bellamy auf dem Gewissen hast, du fühlst dich schlecht, weil du froh darüber bist. Diese ganzen Bibelweisheiten, die dir dein Vater beigebracht hat, funktionieren nicht in der Art von Leben, das wir führen. Du misst dich und deine Seele mit dem Maß eines Priesters, und ein Priester hätte auf Bellamy Leggetts Schiff keinen Tag überlebt.«
Nolan wäre fast in Lachen ausgebrochen, aber es blieb ihm im Halse stecken. »Da liegt Ihr falsch. Bellamy hätte es große Freude bereitet, die Seele eines solch heiligen Mannes zu verderben.«
»Du meinst also, Bellamy hat genau das mit dir getan? Das glaube ich nicht. Dafür bist du zu stark. Du hast getan, was allein du wolltest und gibst jetzt Bellamy die Schuld, als ob er dich so weit getrieben hätte.«
Nolans Lächeln verblasste. »Aber ich wollte nie so werden wie er.«
»Das bist du nicht. Aber du bist auch kein frommer Chorknabe. Finde dich damit ab, und stell dich darauf ein. Du bist anständig genug. Also schlaf mit deiner Frau, und nimm die Dinge in die Hand, bevor es zu spät ist.«
»Wenn
Ihr
mich ›anständig genug‹ nennt, dann steht es wahrscheinlich schlimmer um mich, als ich gedacht habe. Und was meine Frau angeht – ich habe nicht vor, sie auf Euer Anraten hin zu vergewaltigen.«
Wayland räusperte sich und spuckte aufs Deck. »Genug von dem Geschwätz, Junge. Du brauchst nicht zu glauben, dass ich die Streitereien zwischen dir und Bellamy vergessen hätte. Darin ging es häufig darum, wie unsere weiblichen Passagiere behandelt wurden. Du würdest keiner Frau weh tun, das weiß ich. Aber das musst du ja auch nicht. Lieber Gott, warum hältst du dich bloß für den Teufel höchstpersönlich, nur weil du ein bisschen Leidenschaft in deinen Adern spürst? Zeig ihr einfach, dass du von ihr angezogen bist. Zeig ihr deine Leidenschaft.«
Nolan verschränkte die Arme vor der Brust. So gerne er Wayland auch glauben wollte, er konnte ihm genauso wenig trauen wie seinen eigenen lustgesteuerten Gedanken. Vor allem nicht, wenn es darum ging, mit Jewel, seiner Frau zu schlafen. Im Grunde ihres Herzens waren sie beide, Wayland und er, nichts weiter als krumme Hunde.
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