Juwel meines Herzens
unbeeindruckt. »Ah, dann also Landesverrat. Das macht die Dinge natürlich einfacher. Sieht so aus, als müsste ich Euch eher in Newgate abliefern.«
Jewel suchte nach Tyrells Hand und drückte sie. Sie war heiß und schweißnass. Er wusste ebenso gut wie sie, wie kritisch die Situation war. Hätte Nolan Bellamy verspottet und sich als Pirat ausgegeben, dann bestünde zumindest noch ein Funke von Hoffnung. Da er kein Piratenverbrechen begangen hatte, hätten sie bei einer Verhandlung auch keinen Beweis in den Händen gehabt, der zu einer Verurteilung führen konnte. Aber bei Landesverrat, das wusste Jewel, hatte er nicht den Hauch einer Chance.
Das Königliche Gericht in Charles Town hatte keinerlei Skrupel, Bürger für Verbrechen dieser Art zu verurteilen, selbst wenn sie nichts Schlimmeres verbrochen hatten, als die Stimme gegen die Repräsentanten der Krone zu erheben. Aber sich an Bord eines Kriegsschiffes zu schleichen, seine zwangsrekrutierte Mannschaft zu befreien und dann auch noch zuzugeben, dass man gegen sein Vaterland Krieg führen wollte, würde unweigerlich zu einer schonungslosen und schnellen Strafe führen.
»Corporal, als Erstes bringen wir unsere beiden Captains in das Schiffsgefängnis der
Neptune.
Eine Schlange ohne Kopf kann keinen Schaden mehr anrichten.« Er blickte aufs Meer. »Ich nehme mal an, unsere Männer sind in der Zwischenzeit mit der Crew auf Captain Kentons Schiff fertig geworden. Mit dem Licht der wenigen Fackeln hier ist es unmöglich zu erkennen, ob am Bug drei Laternen brennen oder nicht. Der Rest der Mannschaft bleibt vorerst hier, solange ich nach dem Jungen suche – und nach unserer bezaubernden Freundin.«
Die Männer, die Bellamy und Nolan überwacht hatten, versetzten ihnen nun herbe Schläge, um sie anzutreiben. Jewel tippte Tyrell auf die Schulter und zog sich dann wieder tiefer ins dichte Blattwerk zurück. Als sie unter einer Palme stand, deren grünes Blätterdach so undurchlässig war, dass sie die Fackeln am Strand nicht mehr länger sehen konnte, hielt sie inne.
Selbst im Dunkeln spürte sie Tyrells Panik, hörte seinen schwergehenden Atem. »Ich muss Euch verstecken, in Sicherheit bringen«, sagte er.
Jewel überlegte – das war das Letzte, was sie sich vorstellen konnte. »Nein, im Gegenteil: Wir müssen dafür sorgen, dass Devlin mich findet.«
»Seid Ihr verrückt?«, fauchte der Leutnant.
»Tyrell, wir müssen Nolan retten! Er wird schon wissen, was zu tun ist. Könnt Ihr mit einem Schwert umgehen?«
»Nein, zumindest nicht besonders gut. Und selbst wenn ich es könnte – wir haben keines.«
Jewels Mut schwand bei dieser Erkenntnis. Daran hatte sie gar nicht gedacht: Sie hatten keine Waffen. Ein Schwert gegen einen anderen Menschen zu erheben, war zwar ein Erlebnis gewesen, das sie nie wiederholen wollte, aber in dieser Ausnahmesituation würde sie es gleichwohl tun, und sogar gerne. Jetzt, da ihre Pläne in Scherben lagen, fühlte sie, wie Tyrells anfängliche Panik auch auf sie überging. Alle Waffen der
Integrity,
die vom Schiff geschleppt worden waren, lagen am Strand aufgetürmt, von den feindlichen Soldaten konfisziert. Nur zwei oder drei Männer der
Integrity
-Besatzung waren an Bord geblieben, um Wache zu halten. Aber selbst, wenn sie mitspielten und schnell reagierten, würden die Engländer jede Flucht binnen Minuten niederschlagen. Wegen den Fackeln am Strand und dem Spektakel, das Nolan und ihr Vater veranstaltet hatten, hatte niemand darauf geachtet, ob in dem weiten Hafen noch ein weiteres Schiff vor Anker gegangen war.
Tyrell und sie verfügten über keinen einzigen Umstand, der ihnen zum Vorteil gereichen würde, vielleicht mit Ausnahme des offenkundigen Interesses des Marineoffiziers an ihr. Als er eröffnet hatte, er glaube, ein Junge habe einen seiner Männer getötet, war sie verwirrt gewesen, bis sie sich erinnerte, dass sie ja Männerkleidung getragen und ihren langen Zopf in ihrer Jacke versteckt hatte. Wie es schien, suchte der Offizier noch immer ihre Gesellschaft, wie schon zuletzt in der Taverne. Und zu seinem Glück befand sich Jewel in einer Lage, in der sie nichts zu verlieren hatte.
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Kapitel zweiundzwanzig
D er hübsche Jack Casper saß auf dem Deck der
Neptune,
den Kopf zwischen den Knien. Allein Nolans Blick hätte den erschöpften Piraten in Stücke reißen können. Nicht zum ersten Mal, seit Devlin seine Informationsquelle in Bezug auf Jewel preisgegeben hatte, wünschte sich Nolan, er hätte Jack
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