Juwel meines Herzens
Die Engländer waren ihnen noch immer weit überlegen. »Nun gut, nehmen Sie Mr. Tyrell, wenn es denn unbedingt sein muss, aber da er in der Befehlsfolge an zweiter Stelle steht, ist nicht zu leugnen, dass mein Schiff dadurch unterbesetzt wäre. Als Captain muss ich darauf bestehen, dass Ihr ihn durch einen Mann mit ebenbürtigen Fähigkeiten ersetzt. Vielleicht Ihr selbst? Wie ist Ihr Stand, Greeley? Seid Ihr zweiter oder dritter Leutnant?«
Er sank in sich zusammen. »Bitte, Captain! Wir können keinen unserer eigenen Leutnants entbehren, aber da Ihr so schlau seid und tauschen wollt, nehmen wir einige Eurer kräftigsten Männer und ersetzen sie mit unseren.«
Leutnant Greeley suchte sich zehn zähe Mannschaftsmitglieder zusammen, die Nolan als Kanoniere vorgesehen hatte. Um Wayland, der jede seiner Bewegungen verfolgte, machte Greeley einen großen Bogen. Wieder blickte Nolan zu Jewel. Ihre Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet, und aus ihren Augen sprühte Neugierde. Sie sah aus, als würde sie den Vorfall in vollen Zügen genießen.
Nolan unterdrückte seine Wut. Wäre sie nicht zu so unpassender Zeit auf der Bildfläche erschienen, hätte er wahrscheinlich über Greeley triumphiert und nicht zehn gesunde Crewmitglieder verloren. Zweifellos würden die Männer, die sie von Greeley stattdessen bekamen, lahm oder geschwächt sein.
Nachdem die Abordnung der Engländer die
Integrity
mit zehn von Nolans stärksten Männern im Schlepptau verlassen hatte, wandte sich Nolan Jewel zu. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er sich zurückhalten, um einer Frau nicht körperliche Gewalt anzutun. Als sie seinen Blick auffing, war sie klug genug, ihren Kopf zu senken. Mit einer Hand setzte sie sich ihren Dreispitz wieder auf.
»Mr. Tyrell, Sie kümmern sich um die Einweisung der neuen Männer. Ich muss mit meinem
Neffen
unter vier Augen sprechen.«
Der Leutnant zögerte. Er blickte erst zu Jewel, dann zurück zu Nolan. Zu Recht verlangte er nach einer Erklärung, aber Nolan wollte verdammt sein, wenn er sie ihm jetzt geben würde.
Tyrell nickte mit deutlichem Missfallen. »Aye, Captain.«
Nolan unterdrückte den Drang, Jewel am Arm zu packen und sie in seine Kabine zu zerren. Stattdessen ging er ruhigen Schrittes über das Deck und blieb direkt vor ihr stehen. Mit ihren großen, unschuldigen Augen sah sie zu ihm auf.
»Folge mir«, sagte er in einem bedrohlichen Tonfall, den er sonst nie beim weiblichen Geschlecht anschlug.
Binnen dem Bruchteil einer Sekunde sank sie in sich zusammen und blickte hilfesuchend in die Gesichter um sie herum. Unter der Besatzung erhob sich ein tiefes, missbilligendes Gemurmel. Nolan fluchte leise vor sich hin. Sorgten sich diese braven Männer etwa darum, wie er mit einer Frau umspringen würde? Wayland beobachtete das Geschehen mit amüsiertem Ausdruck. Vielleicht wusste der alte Pirat tatsächlich besser als er, wie man mit Bellamys Tochter umgehen musste. Höchstwahrscheinlich würde er ihr Angst machen, was ihm schlussendlich zum Vorteil gereichte. Nolan hingegen hätte sicher keinen Erfolg mit dieser Taktik, und er würde keinesfalls zugeben, dass er sich selbst nicht über den Weg traute, wenn er mit Jewel alleine war.
»Mr. Wayland, begleiten Sie unseren Gast.«
Nolan fühlte das kollektive Aufseufzen, das bei seinem Befehl durch die Reihen lief, mehr, als dass er es hörte. Was, zur Hölle, dachten sie denn, würde er mit ihr anstellen? Und weshalb erleichterte ihn in dieser Situation die Anwesenheit eines alten Piraten? Egal. Darüber nachzudenken, würde ihn nicht weiterbringen. Er stürmte über das Deck, ohne sich darum zu kümmern, ob Wayland und Jewel ihm folgten. Aber Gott sollte ihnen gnädig sein, wenn sie es nicht taten.
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Kapitel vier
N olan war schon am Niedergang angelangt, ehe Jewels vor Angst verkrampften Muskeln sich wieder in Bewegung setzten. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals solcher Wut ausgesetzt gewesen zu sein, und die Tatsache, dass sie Nolans Zorn zu Recht verdiente, machte die Sache auch nicht besser. Seine leuchtend blaue Jacke und seine blank polierten Stiefel straften das zweifellos unchristliche Ansinnen Lügen, das sie in seinem Blick gelesen zu haben glaubte. Nolan verschwand unter Deck, ohne sich noch einmal umzusehen, und Jewel bemühte sich, ihm schleunigst zu folgen.
Waylands harter Griff an ihre Jacke ließ sie mitten im Schritt innehalten. »Lass dir nur Zeit, Joe.«
»Mein Name ist nicht Joe, wie Ihr sicherlich
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