Juwel meines Herzens
längst wisst.« Jewel nahm den Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durch ihr Haar. Das wilde Aussehen von Wayland nahm ihr nicht mehr den Atem, im Moment war der alte Pirat ihr sogar fast willkommen. Wenn er nicht so freundlich gewesen wäre, sie zu fragen, wohin sie auf dem Weg sei, als sie sich am unübersichtlichen Hafen von Charles Town verlaufen hatte, hätte sie Nolans Schiff wahrscheinlich nie gefunden. »Wir sollten ihm folgen. Es wäre unnötig, ihn noch wütender zu machen.«
Wayland hakte sich bei ihr unter. »Ich glaube, der Junge ist eher froh, wenn er einen Augenblick Zeit hat, um sich und seine Gedanken zu sammeln.«
Statt sich ihm zu entziehen, war Jewel um seine Stütze dankbar. Sie fühlte sich noch nicht halb so bereit, Nolan gegenüberzutreten, wie sie nach außen hin den Anschein machte. »Seid Ihr mir böse, weil ich Euch belogen habe?«
Er lächelte beruhigend. Und obwohl er Jewel damit freien Blick auf seine Zahnruinen ermöglichte, spürte sie doch, dass er es gut mit ihr meinte.
»Nein, ich wusste bereits, als ich dich sah, dass du ein Mädchen bist. Aber ich habe mir gedacht, dass unserem Captain eine junge Frau an Bord nicht schaden würde, um ihn ein wenig zu besänftigen. Ich wette, er wäre nicht so launisch, wenn er ständig weibliche Gesellschaft um sich hätte.«
»Nun, meines Erachtens war er nicht gerade erfreut darüber, mich hier zu sehen.« Jewel verstand Waylands Anspielung, war aber unbesorgt, dass Nolan solche Absichten hegen würde. Vielmehr benahm er sich, als würde er, außer zu Wut, zu keiner einzigen menschlichen Regung fähig sein, und sogar die Stärke seines Zorns war eine Überraschung für alle Umstehenden gewesen. Bei seinem Besuch im »Quail and Queen« hatte er sie mit dem ihm ansonsten eigenen kühlen Respekt behandelt, durch den er, so schien es, Distanz zwischen ihnen schaffen wollte.
Jewel folgte Wayland und kletterte die Leiter hinab, die in den dunklen Rumpf des Schiffes führte. Der Schreiner wartete auf sie. »Du weißt doch, wie man einen aufbrausenden Mann besänftigt, oder, Mädchen?«
»Das weiß ich in der Tat.« Egal wie berechtigt Nolans Ärger wegen ihrer Täuschung auch war, Jewel trug die Karte bei sich. Diesen wichtigen Umstand sollte sie bei dem Gespräch nicht vergessen.
Wayland fasste sie sanft an ihren Schultern und führte sie den dunklen Gang hinab. »So ist es richtig, Mädchen. Mach Nolan ruhig die Hölle heiß.«
Zu früh für Jewels Gefühl blieben sie vor einer Kajütentür stehen. Wayland trat ein, ohne anzuklopfen. Nolan fuhr wie ein kampfbereites Tier herum; sein Körper füllte fast den ganzen winzigen Raum aus. Jewel blieb erstarrt im Türrahmen stehen. Wayland musste sie in die stickige Kajüte schieben, dann folgte er ihr und schloss die Tür. Mit Wayland hinter und Nolan vor sich fühlte sich Jewel wie in einer Falle.
»Was, zur Hölle, tust du auf meinem Schiff?« Nolans Augen flackerten vor unterdrückter Wut.
Jewel widerstand dem Drang zu fliehen. Sowieso ein unmögliches Unterfangen: Der alte Pirat versperrte den einzigen Ausweg. Sie zwang sich, Nolan in die Augen zu sehen, und erinnerte sich daran, dass ursprünglich er es gewesen war, der zu ihr gekommen war. Wenn er die Karte erhalten sollte, dann nur unter einer Bedingung: Er musste sie auf der
Integrity
aufnehmen. »Es tut mir leid, dass ich die Wut der Engländer auf dich gezogen habe. Aber jetzt bin ich hier.« Sie schluckte den Zusatz »mit der Karte« im letzten Moment hinunter, unsicher, ob sie Wayland trauen konnte. »Wir sollten versuchen, zu vergessen, wie ich an Bord gekommen bin, und uns stattdessen auf die Abmachung konzentrieren, zu der wir in der Taverne gekommen sind.«
»Ich habe dir bereits gesagt, dass es unmöglich ist, deinen Wunsch zu erfüllen«, fuhr er sie an. Er schob sich eine Haarsträhne, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte, hinter sein Ohr und holte tief Luft. Sein Blick verlor etwas von seiner Intensität, aber Jewel fühlte sich unter ihm noch immer atemlos. Wie viel einfacher wäre es doch, wenn sie beide auf der gleichen Seite kämpften.
»Nichts ist unmöglich, Nolan. Du bist in mein Leben getreten, als ich schon fast nicht mehr daran geglaubt habe. Ich werde nie mehr nach Charles Town zurückkehren. Dort habe ich nichts mehr verloren.« Jewel meinte, Mitgefühl in Nolans Augen zu lesen. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich gegen sein unerwünschtes Mitleid wappnete. Sie hob ihr Kinn und straffte die Schultern.
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