Juwel meines Herzens
Rettungsaktion gestorben, ein anderer verletzt: Das würden die Engländer nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dies war der Beginn einer Rebellion, und Nolan fühlte sich ganz in seinem Element.
Der Kampf hatte ihn berauscht. Noch immer raste sein Herz. Es war lange her, dass er ernsthaft gekämpft hatte, und noch viel länger, dass ihn ein Kampf so berührt hatte. Seine letzten Jahre mit Bellamy hatten sein Empfinden völlig betäubt. Er hatte so viel Blutvergießen miterleben müssen und sein Können war irgendwann so ausgefeilt gewesen, dass er alle Furcht verloren hatte. Schlimmer aber war, dass er für Dinge gekämpft hatte, an die er jetzt nicht mehr glaubte. Er hatte gekämpft, um sich zu bereichern.
Nolan drehte das Steuerrad scharf nach rechts und bereitete die
Integrity
vor, den Hafen zu verlassen, sobald das Hauptsegel ausgerollt war. Die Schlacht heute Nacht war anders als alle anderen zuvor gewesen. Es war wahrhaftig um Freiheit gegangen und darum, wie ein Mann sein Leben führen wollte, nicht um die eigensinnige Sehnsucht eines Jungen nach Ruhm und Abenteuer.
Als der Wind endlich die Segel blähte, nahm die
Integrity
Fahrt auf, fliegend hin auf ihr nächstes Ziel. Für Nolan kam das fast einer Ekstase gleich. Aber eben nur fast.
Seine Gedanken wanderten zu Jewel. Guter Gott, sie hatte ihn wirklich überrascht. Zuerst hatte er nur nackte Angst gespürt, als er sie auf der
Neptune
entdeckt hatte, aber dann war ihm zum Nachdenken keine Zeit mehr geblieben. Jewel hatte die Angriffe ihres Gegners Schlag für Schlag pariert. Und sie hatte verdammt noch mal sein Leben gerettet. Mit der Wunde am Arm wäre es für ihn unmöglich gewesen, sich gegen zwei Männer gleichzeitig zu verteidigen. Einzig ein leichter Schrecken hatte ihn durchfahren, als er bemerkte, wie er sich darüber freute, dass sie ihren Gegenspieler getötet hatte. Während des Kampfes hatte er beinah seinen eigenen Gegner vernachlässigt. Zu sehr war er damit beschäftigt gewesen, zu ihr hinüberzublicken.
Zum ersten Mal betrachtete er seinen Arm genauer. Der feuchte Ärmel war vom Blut rot gefärbt, und auch die Lache des Meerwassers, die sich zu seinen Füßen angesammelt hatte, erschien rötlich. Waren sie erst auf dem offenen Meer, blieb noch genug Zeit, sich darum zu kümmern.
Sie verließen den Hafen. Nolan ging wieder hinauf zum Steuer und brachte die
Integrity,
den Wind im Rücken, auf Kurs. Immer wieder sagte er sich, dass Jewel keine andere Wahl gehabt hatte, als auf das Herz ihres Opfers zu zielen. Eine Fleischwunde konnte sie nicht riskieren. Ihr Gegner war fast doppelt so schwer wie sie. Wenn er sie zu fassen bekommen hätte, hätte er sie umgebracht. Sein Tod war ihre einzige Möglichkeit gewesen, und Nolan war froh, dass Jewel Mut genug gehabt hatte, so weit zu gehen.
Er versuchte, das Steuer gegen den starken Wind stabil zu halten. Wellen überschwemmten jetzt in regelmäßigen Abständen das Deck. Ein Sturm braute sich zusammen. Nolan sah gen Himmel, wo die Sterne von aufgewühlten Wolkenbergen, durchsetzt von schwarzgrauen Flecken, verdeckt wurden. Die Hurrikan-Saison stand kurz bevor, aber Nolan war vertraut mit der Unvorhersehbarkeit des Meeres. Er würde sich von nichts überraschen lassen, das sich ihm in den Weg stellte. Nach dem Triumph der heutigen Nacht fühlte er sich, als könnte ihn nichts und niemand mehr bezwingen.
Eine große Woge brach über dem Deck zusammen. Da er schon bis auf die Knochen durchnässt war, kümmerte es ihn wenig, als der Schaum seine ruinierten Stiefel umspülte. Zumindest wurden so auch die Blutspuren von seinem Arm gewaschen. Ohne auf das Pochen seiner Wunde zu achten, ordnete er das Reffen des Großsegels gegen das zunehmende Tosen des Windes an.
Atemlos stürmte Tyrell auf ihn zu. »Mit Jewel stimmt etwas nicht. Sie übergibt sich.«
Nolan hob eine Augenbraue, wandte den Blick aber nicht von der wogenden See. »Seekrankheit?« Bisher hatte sie zwar noch keine solche Reaktion gezeigt, aber das Meer hatte auch jetzt erst, da sie den Schutz der Bahamas verließen, zu toben begonnen. Oder war es …?
Nolan hätte sich schlagen können. Wie hatte er nur vergessen können, wie Jewel sich jetzt fühlen musste? Schließlich hatte sie einen Menschen erstochen! So gut hatte sie gekämpft, dass ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, sie hätte noch nie getötet.
Vor langer Zeit war er wie sie gewesen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er zum ersten Mal einen Mann durchbohrt
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