Juwel meines Herzens
größere Schwierigkeit. Ihm war klargeworden, dass er mehr für sie empfand, als er gewollt hatte, aber jetzt war es an der Zeit, das eine, was er ihr tatsächlich geben konnte, zu zeigen: sein aufrichtiges Mitgefühl. Er küsste ihre Fingerknöchel. »Und jetzt geh, ehe ich meine Meinung noch ändere und Wayland an meiner statt schicke.«
Seine neckenden Worte verfehlten ihr Ziel nicht und entlockten ihr ein Lächeln. Dann machte sie einen Schritt, ohne ihren Blick abzuwenden, drehte sich um und eilte unter Deck.
Die vereinzelten Tropfen wuchsen sich zu einem schweren Regenguss aus, als Nolan sich aufmachte, um nach Tyrells Fortschritten zu sehen. Nachdem er auch noch den Wundarzt aufgesucht hatte, ließ er Jewel Grog schicken, der mit Waylands Spezialgebräu gemischt worden war. Natürlich wäre eine warme Mahlzeit besser gewesen, aber bei der unruhigen See konnte man es nicht riskieren, ein Feuer zu entzünden. Mit ein wenig Glück würde die Kombination von ihrem leeren Magen und dem starken Alkohol sie in sanfte Träume entschlummern lassen, ehe Nolan etwas tun konnte, das sie beide später bereuten.
Das heftige Wogen des Meeres wurde von den dunklen Wolken am Himmel übertrumpft, als diese ungezügelt ihre Wut entluden. Das Wetter hatte sich nicht geändert, seit er sich in seine Behelfskajüte zurückgezogen hatte. Noch immer prasselten dicke Regentropfen auf das Deck. Nolan begann sich zu entspannen, doch noch immer machte sich Wayland an seinem Arm zu schaffen. »Seid Ihr immer noch nicht fertig? Ich hätte mich wohl doch von Mr. Blake nähen lassen sollen.«
Den nächsten Stich führte Wayland extra rücksichtslos aus. »Aye, aber es war deine Entscheidung, es eben doch nicht bei diesem Grünschnabel machen zu lassen, sondern dich dem alten Wayland anzuvertrauen. Und keine verdammte Minute zu früh. Ich hasse es, eiternde Wunden nähen zu müssen.« Es folgte ein übertriebenes Geräusch des Ekels.
Nolan blickte hinab. Obwohl sie nebeneinander auf der engen Pritsche saßen, hatte er es bisher vermieden, Waylands Arbeit zu betrachten. »Sie hatte noch gar keine Zeit, um zu eitern. Und zu Euch bin ich gekommen, weil ich auf größere Schnelligkeit bei der Versorgung hoffte.« Und weil Mr. Blake tatsächlich noch relativ grün hinter den Ohren war. Sollte der lieber an jemand anderem üben. Auf eine weitere unschön geheilte Wunde konnte er verzichten, aber das behielt er lieber für sich.
Wayland holte eine Flasche und hielt sie ihm hin. Als er dankend ablehnte, goss der Pirat die feurige Flüssigkeit über Nolans Arm. Fluchend sprang Nolan auf. »Was ist da drin? Schießpulver etwa?«
Wayland kicherte. »Nein, nein, heute ist es Blow-me-down.«
Zum Glück hatte er nicht davon getrunken! Das letzte Mal, als er von Blow-me-down – ein Lieblingsgetränk der Piraten aus Madagaskar, in das als Spezialzutat tatsächlich Schießpulver gemischt wurde – gekostet hatte, war Nolan nackt unter dem Tisch von einer von Bellamys Lieblingstavernen aufgewacht und ihm hatte die Erinnerung an zwei volle Tage gefehlt. »Hast du Jewel auch davon gegeben? Ich hoffe, ihr ist nicht von diesem Gesöff schlecht geworden.«
Waylands Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen, während er sich darauf konzentrierte, Nolans Wunde zu vernähen. Das untypische Schweigen ließ Nolan schon fast wünschen, er würde wieder anfangen, seine unverständlichen Worte vor sich hin zu murmeln. Wayland zog den Faden fest. »Das Mädchen hat fürchterlich blass ausgesehen. Sie hat nach dir gefragt. Wollte dich unbedingt sehen. Sagte, dass du später kommen würdest.«
Das Schweigen war also doch die angenehmere Variante gewesen. Ein weiterer heftiger Stich mit der Nadel ließ Nolan die Zähne zusammenbeißen. Auf seiner Haut bildete sich ein leicht schimmernder Schweißfilm. Langsam begann er, sich wie ein Nadelkissen zu fühlen, was Wayland zweifellos beabsichtigt hatte.
»Du hast kein Recht darauf, so mit dem Mädchen umzuspringen, Nolan. Bellamy würde das nicht gefallen.« Wayland drückte die Wunde zusammen. Blut strömte zwischen der Naht hervor. »Verdammt. Hab dir doch gesagt, dass sie eitert.«
Nolan riss seinen Arm fort, so dass die gebogene Nadel nun am Faden baumelte, der den Bizeps bereits mit einigen Stichen zierte. Er hätte es selbst zu Ende gebracht, aber der Gedanke daran, sein eigenes Fleisch zu nähen, löste ein flaues Gefühl in der Magengegend aus. Es war schlimmer, als jemandem die Wunde beizubringen.
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