Juwel meines Herzens
»Bellamy hat nie auch nur einen Finger für seine Tochter gekrümmt. Das einzige Mal, als er sie gesehen hat, hat er sie für seine Zwecke benutzt. Er hat ihr die Karte doch nur gegeben, damit ich bei ihm bleibe. Er wollte die Kontrolle über mich behalten, indem er sein unschuldiges Kind so einer Gefahr aussetzte.«
Wayland goss erneut Rum über die Wunde. Nolan sog scharf die Luft ein, riss Wayland die Flasche aus der Hand und nahm einen großen Schluck. Als die Flüssigkeit seinen leeren Magen erreichte, fühlte es sich an, als würde eine Flamme auflodern.
Wayland stellte die Flasche wieder auf den kleinen Tisch neben der Pritsche. »Davon weiß ich nichts. Aber was ich ganz genau weiß, ist, dass Jewel heute kein Kind mehr ist. Und dass sie dir dein Leben gerettet hat und jetzt dafür zahlt. Ich kann es nicht leiden, wenn Frauen die Arbeit erledigen müssen, die eigentlich Sache der Männer ist.«
Nolan erhob sich. »Ich habe sie nicht darum gebeten, den Mann zu töten. Oder uns zu begleiten.«
Wayland blieb, wo er war. »Setz dich. Ich bin noch nicht fertig.«
Nolan ließ sich wieder auf die Pritsche sinken. Er wollte sitzen bleiben, bis Wayland die Wunde zu Ende genäht hatte, aber er brauchte sicher nicht den Rat eines Piraten, wenn es darum ging, wie er sich Jewel gegenüber zu verhalten hatte. Er wusste, dass er ihr sein Leben verdankte – aber das war nicht der Grund, warum er sie trösten und sich um sie kümmern wollte. Es ging um viel mehr.
Wayland betupfte die Wunde mit einem weißen Tuch. Nolan blickte zu seiner geballten Faust hinab und zwang sich dann, seinen Arm zu entspannen, so dass der Pirat weitermachen konnte. »Ich dachte, Ihr wollt uns einander in die Arme treiben?«
Wayland tränkte das Tuch mit Rum und wischte dann die Nadel daran ab. »Vielleicht habe ich meine Meinung ja geändert, seit ich sie besser kenne. Es ist nicht recht, dass du ihr folgst wie ein läufiger Löwe. Schließlich bist du der Mann, der ihren Vater getötet hat und all das.«
Nolan überwand sich, ruhig zu bleiben. Es wäre nicht gerade schlau, mit dem Mann, der gerade das eigene Fleisch zusammennäht, einen Streit zu beginnen. Seine Stimme war tief, er beherrschte sich. »Ich bin nicht hinter ihr her. Und Bellamy aus ihrem Leben zu befördern, war eines der besten Dinge, die ich für sie tun konnte. Trotzdem«, Nolan presste den Rest durch zusammengebissene Zähne hervor, »habe … ich … Bellamy … nicht
getötet.
«
Waylands nächster Nadelstich war das Äquivalent zu einem Kanonenschuss. »Gut, wenn du es so willst. Aber Jewel ist keine Hure. Das ist alles, was ich dir sagen will.«
»Das weiß ich!« Er würde sich nicht weiter rechtfertigen. Bei ihrem Gespräch über Waylands sogenannten Rat war Nolan klargeworden, dass Jewel aufgrund ihrer gegenseitigen körperlichen Anziehungskraft wohl einige falsche Vorstellungen von Liebe hegte. Doch er würde sie nicht verletzen, indem er sich diese Vorstellungen zunutze machte.
Schon bisher waren ihr genügend Träume für ein ganzes Leben zerstört worden. Jetzt brauchte sie jemanden, der ihr Trost spendete, und er wollte derjenige sein, der das tat.
Jewel war jetzt die seine. Sie gehörte ihm. Und obwohl er vor Wayland alles abgestritten hatte, fühlte er sich schuldig an Bellamys Tod. Wenn er sich zuvor noch widersetzt hatte, irgendeine Art von Verantwortung für Jewel zu übernehmen, änderte die Tatsache alles, dass sie sein Leben gerettet hatte. Er war es ihr nicht nur schuldig, ihr heute Nacht über ihre Trauer hinwegzuhelfen, er war dazu
verpflichtet.
Er wollte ihr geben, was er selbst nie gehabt hatte, damit sie diese erste Begegnung mit der Gewalt irgendwann vergessen konnte, anstatt sie ihr ganzes Leben lang mit sich herumzutragen.
Es war seltsam: Obwohl sie grundverschieden waren, hatten ihre Leben oft ähnliche Wendungen genommen. Nicht zum ersten Mal überkam Nolan das beunruhigende Gefühl, dass sein und Jewels Schicksal miteinander verflochten waren, wobei Bellamy nur eine Nebenrolle spielte.
Wayland hatte den Faden mit dem Dolch aus seinem Gürtel durchtrennt. »Fertig.« Er stand auf und trat zur Tür, doch es lag ihm noch eine letzte Warnung auf den Lippen. »Und belaste deinen Arm heute Nacht nicht mehr. Du hast schon zu viel Blut verloren.«
Seltsamerweise begann Nolans Blut, bei dem Gedanken, was er den Rest der Nacht über tun würde, in seinen Adern zu rauschen.
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Kapitel elf
J ewel griff nach dem Zinnbecher, der auf
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