Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
K

K

Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
Vom Netzwerk:
Während er noch darüber nachdenkt, wächst der Druck auf seine Ohren – und endlich hört
er wieder einen Ton. Es ist ein leises Geräusch in niedriger Frequenz und kommt aus dem Innern des Fallschirms, ein elektrisches Summen, das sich aus der aufgeblähten Hülle verbreitet. Er dringt durch ihre Öffnung ein und bahnt sich einen Weg zu den gebrochenen Flügeln und dem verbogenen Propeller, der, wie ein Satz ungewöhnlicher Zeltpfosten, den Stoff hochhält. Das Summen kommt aus dem Cockpit – aus der hinteren Hälfte, seiner Hälfte.
    Er stemmt sich hoch, schaut hinein und sieht, dass sein Funkensender das Geräusch verursacht. Die Sechs-Volt-Batterie ist aus ihrer Halterung gefallen und liegt halb zerschmettert am Boden; die heraushängenden Drähte spucken stoßweise Funken aus, und der unregelmäßige Elektrizitätsschub lässt die Morsetaste klappern, als sei der Stromfluss nun umgekehrt – und damit das ganze Signalsystem –, sodass der Sender Nachrichten empfängt, statt sie zu übermitteln. Serge greift nach dem Medizinkasten, doch dann fällt ihm ein, dass er die beiden Spritzen vom Hausboot noch in der Tasche hat. Er holt eine heraus, krempelt den Ärmel auf, spritzt sich in den Unterarm, beugt sich dann über Gibbs und nimmt die Leuchtpistole.
    »Seidenpyjama.«
    Hat er das gesagt oder mit seinen gedämpften Sinnen nur gehört? Wieder sieht er zum summenden Gerät. Die Funken wandern jetzt an den Drähten entlang, züngeln bis auf den Cockpitboden, wo sie Motorenöl entzünden. Serge lässt die Leuchtpistole fallen, reißt an sich, was vom Funkensender noch übrig ist, lässt sich zu Boden sinken und kehrt langsam durch den Schlauch zurück, vorbei am toten Fallschirmspringer und hinaus ins aufgewühlte Land. Nach einer Weile dreht er sich um, den Funkensender im Arm, und sieht zu, wie Fallschirm und Flugzeug verbrennen. Die Seide wird schwarz, dann orangerot, sinkt in sich zusammen und gibt das hölzerne
Skelett darunter frei, gleichfalls schwarz verfärbt. Im Flammenmeer finden kleine Zusammenbrüche und Eruptionen statt, doch verursachen sie kein Geräusch: Der einzige Laut ist das tiefe Summen, das immer noch in seinem Kopf widerhallt, obwohl der Sender zerstört und abgeklemmt ist. Er weiß nicht, ob er Sekunden, Minuten oder Stunden in die Flammen schaut, ehe er sich umdreht und geht.
    Nach einer Weile sieht er sich unter verstümmelten Pappeln am Rande dessen entlangwandern, was einmal ein malerischer kleiner Teich gewesen sein muss. Das teils zugefrorene Wasser ist von rostbrauner, mit quecksilbrigen Fäden durchzogener Farbe. Schartige, zackige Granatensplitter ragen daraus auf, und am Uferrand zittern und beben gelbe, senkrecht stehende Binsen. Serge könnte nicht sagen, ob es der Wind ist oder der Luftzug einschlagender Granaten, der in sie fährt. Er kann sie auch nicht rascheln hören, doch nimmt er jetzt einen hohen Ton wahr, der das Summen in seinem Kopf durchdringt: Er scheint von irgendwo anders zu kommen, von außerhalb. Von den Binsen vielleicht, ihrer Oszillation? Er weiß es nicht. Der Boden rund um den Teich ist mit Militärmüll und Metallstaub bedeckt, als wären Fragmente des Himmels abgeblättert und herabgerieselt. Dazwischen hüpfen Vögel: Dohlen, Krähen und Raben; mechanisch und unordentlich wie die Bruchstücke selbst picken sie im Abfall herum. Rauch umwogt ihre Schnäbel. Als Serge näher kommt, stieben sie auf und fliegen in langer Leichnamsprozession zu einem nahen Wald; ihre Schatten beharken die Erde.
    Er folgt den Vögeln. Zum Wald zieht ihn nicht der vernünftige Grund, dort Schutz oder ein Versteck zu suchen, sondern dieser hohe, durchdringende Ton: Er scheint von den Bäumen zu kommen und seltsam absichtsvoll aus ihrer dichten Masse hervorzudringen, fast wie eine elektrische Aufforderung.
Während Serge sich einen Weg zwischen den Strünken sucht, wird der Ton deutlicher, so als würde er von Zweigen und Ästen verstärkt und vom Moos zurückgeworfen, um sich dann in Kopfhöhe zu halten. Serge hört genauer hin und erkennt, dass es eigentlich mehrere Töne und Tonlagen sind, die sich ineinander verweben wie jene Interferenzstränge, die man vernimmt, wenn man an der Wählscheibe dreht. Als er stehen bleibt, um sein Gehör besser auf das Geräusch auszurichten, vereinen sich die Laute zu zwei Haupttönen, jener hohe, den er zuerst vernommen hat, und, geborgen in dessen akustischem Schatten, ein tieferer in der Tonlage von Trompeten. Gemeinsam ergeben die

Weitere Kostenlose Bücher