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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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gesendet hat, hätte senden können oder vielleicht noch in diesem Moment sendet, irgendwie, zu irgendwem, der am anderen Ende dieses Äthers wartet, der wohl nur noch aus Geräuschen und Signalen besteht: »BY. NF.BADSAC7 SC-CS 1911; BY.VER.BUC2 SC-CS 1913 …«
    Eine nach der anderen murmelt er diese sich wiederholenden, sich ändernden Zeichensequenzen, lässt sie über seine Lippen in den Wald wandern. Er macht das nur, weil er sich dann besser fühlt: eins mit den zerbombten Bäumen, der Elektrizität, dem Teer, der Deformation. Doch bleibt das nicht ohne
Folgen: Nach einem langen, monotonen Abschnitt, in dem er mindestens einmal im Kreis läuft und den eigenen Spuren folgt – sogar die Baumreihen scheinen sich zu wiederholen, wenn auch nie ganz auf dieselbe Weise; das weiche, weiße Etwas zwischen den Stümpfen rückt halb in sein Sichtfeld, dann ist es wieder fort –, tauchen zwischen den Strünken und abgebrochenen Ästen Männer in deutschen Uniformen auf. Diese hier sind eindeutig lebendig. Ihre Waffen sind auf ihn gerichtet; ihre nicht deformierten Münder bewegen sich; voller Argwohn mustern sie den Funkensender.
    »Was?«, fragt Serge. Er kann sie nicht hören.
    Die Gewehre zucken in die Höhe; wieder bewegen sich die Münder.
    » Was ?«, versucht er es auf Deutsch.
    »… fenn Gnisse«, webt sich eine der Stimmen ins hochtonige Lautgeflecht.
    »Was?«, fragt Serge noch einmal. Es klang wie »fängt Nissen«, »lenkt Küsse«, irgendwas dieser Art. Er zeigt auf die Ohren. »Schwer zu fassen.«
    »Ängnis«, sagt der Mann und formt das Wort langsam mit den Lippen.
    »Ängi?«, fragt Serge.
    »Ängnis«, wiederholt der Mann, durchaus nicht unfreundlich.
    Serge lächelt entschuldigend. Es war irgendwas wie »End dies«, vielleicht auch das Gegenteil »End nie«. Ein zweiter Soldat kommt, und die Männer wenden sich ihm zu. Der Neue ist smarter angezogen, ein Offizier. Er geht zu Serge, nimmt ihm den Funkensender ab, und da hört der hohe Ton plötzlich auf; Serge kann deutlich verstehen, was der Mann sagt: »Ins Gefängnis. Sie sind ein Gefangener.«
    IV
    Er wird von der Front fortgeschickt, nach Osten, tiefer ins Landesinnere. Nachdem sein Offiziersrang festgestellt wurde, steckt man ihn zu seinesgleichen und verfrachtet ihn anfangs in Waggons der ersten Klasse, dann in Wagen der zweiten Klasse und schließlich in denen der dritten, als würde die Qualität seiner Transportmittel alle hundertfünfzig Kilometer herabgestuft. Schließlich findet er sich in einem Viehwaggon wieder. Ein Unteroffizier sowie drei einfache Landser halten Wache, stehen ruckelnd und schwankend vor ordentlichen Feldern, Kanälen, Fabriken und Städten, die mit ebenso absoluter wie undurchschaubarer Logik aufeinander folgen. Manchmal halten sie an einem Bahnhof. Während ihnen Kaffee und Brot gereicht wird, starren die Frauen auf den Bahnsteigen sie feindselig an, und als der Zug weiterfährt, an Häusern vorbeigleitet, an deren Türen Kränze und Kreuze hängen und deren schwarz verhängte Fenster ihm in Jalousienmorse stets die gleiche Botschaft schicken, kann Serge den Grund dafür verstehen. Auf jeder Straße, in jeder Stadt und jedem Dorf ziehen Soldaten vorbei, die in entgegengesetzte Richtung streben; ihr akkurater Schritt-und-Tritt in zügigem Marsch fällt kurz mit dem Rhythmus des Tuckerns und Zischens von Dampf und Kolben zusammen, ehe sich die Laute wieder voneinander lösen, verklingen und verstummen …
    Er wird von einer Durchgangsstation zum nächsten Übergangslager weitergereicht, und jedes Mal fragt man ihn nach Rang und Namen. Die Antwort auf Letzteres provoziert unweigerlich einen humorvoll gemeinten Kommentar: »Kärre- was? Sind Sie etwa ein Insekt? Ein Käfer?«

    »Karrefax«, wiederholt Serge und zieht dabei das X so in die Länge, als müsste er kräftig Dampf ablassen.
    » Käffer ? Also doch kein Insekt?«
    Nachdem er das vierte oder fünfte Mal eine derartige Befragung über sich ergehen lassen musste, wird er in ein Offizierslager bei Hammelburg gebracht. Hammelburg ist eine Garnisonsstadt, das Lager nur ein Areal, das mit Drahtverhauen von den angrenzenden Straßen abgetrennt wurde. Die Schlafräume, in denen die Gefangenen zu acht oder zehnt untergebracht sind, befinden sich an einem Kopfsteinpflasterplatz, der von gelbroten Häusern mit spitzwinkligen, rotbraunen Schieferdächern gesäumt wird, Wohnstätten von Kaufleuten und Gebäude der Stadtverwaltung, die sich mit deutscher Enge und Dichte

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