K
die Flugzeuge bewegen sich, ziehen feierlich ihre Bahnen. Während Gibbs eine Wende nach der anderen fliegt, fragt sich Serge, dessen Blick über die Erde unter ihm wandert, wo genau wohl die Maulwürfe ihre explosive Losung deponiert haben. Eine Weile spürt er, wie der aus Luftblöcken und -spiegelungen zusammengesetzte, gesichtslose Wünschelrutengänger Baron Karl von Binda neben ihm schwebt, eine Rute in der Hand; und der Wind, der an den Streben und Holmen rüttelt,
ruft seinen Namen – wiederholt ihn eindringlich immer wieder aufs Neue: BIN-Da, BIN-Da, BIN-Da…
Und dann kommt ihm, wie durch diesen Singsang heraufbeschworen, die Erde entgegen. Anfangs sieht es aus, als wölbten sich auf ihrer Oberfläche zahllose Schwielen, doch wachsen die Schwielen zu hohen Kuppeln mit glatten, konvexen Dächern heran, bis die sich immer weiter ausdehnenden Dächer erste Risse zeigen, schließlich völlig auseinanderbrechen und durch die geplatzte Kruste lange, gerade Erdstrahlen schießen: riesige, rasende Geysire, die aussehen, als triebe sie nichts als die eigene Kraft und Materie empor, dumpfe braune Masse, die der Höhe und Schwerkraft allein durch schieres Wollen trotzt. Wirbelnde Brocken glitzern durch die Luft, als sich der nächstgelegene Geysir vor seiner Maschine auffächert. Serge blickt horizontal erst nach Norden, dann nach Süden: Die ganze deutsche Front ist mit solchen Erdstrahlen punktiert. Sie sehen wie Säulen aus, die den Himmel tragen; wenn sie brechen, stürzt er dann ein? Der Scheitelpunkt dieser Geysire ist höher als sein Flugzeug, und zum ersten Mal hat er den Eindruck, nicht über der Erdoberfläche, sondern darunter zu fliegen – oder vielmehr in einer Art von Erde umschlossener Enklave. Nur Sekunden später regnen Teilchen auf seine Maschine: kleine Klumpen und Brocken, die auf die Flügel prasseln, auf seinen Sitz pladdern. Die Strahlen fallen in sich zusammen, und Serge sieht unter sich zwei ungeheure Löcher. Wie Augenhöhlen klaffen sie in der Erde, die Augenhöhlen eines Riesen, der unter der Erde vergraben lag – vielleicht seit Jahrhunderten, vielleicht noch länger – und sich erst jetzt, Stück um Stück, erhebt.
»Soll ich runtergehen?«, ruft Gibbs.
Serge gibt keine Antwort, blickt wie hypnotisiert in diese Augen.
»Soll ich runtergehen?«, ruft Gibbs erneut.
Langsam lenkt Serge den Blick nach Osten. Auf der Erde haben sich die stacheligen Pünktchen-Soldaten in Bewegung gesetzt. Sie schwärmen aus, strömen durch die Rillen und Kanäle des Niemandslands. Hin und wieder werden Teile ihrer Masse von Tretminen in die Luft geschleudert, was, verglichen mit den ungeheuren Eruptionen, die ihnen vorausgingen, kaum bedeutsamer wirkt als aufplatzende Pickel. Jetzt fallen auch Granaten, schnattern Maschinengewehre. Serge kann Geschützfeuer beim 10. Bataillon erkennen und weist Gibbs die Richtung an. Als sie die Truppe zum ersten Mal überfliegen, blitzen die Spiegel auf den Rucksäcken der Männer; bis sie gewendet haben und zum zweiten Überflug ansetzen, hängt dermaßen viel Rauch in der Luft, dass keine Helligkeit mehr bis zu den Spiegeln und wieder zurück zu Serge dringt; beim dritten Überflug kann er nicht einmal mehr die Männer erkennen. Er stellt die Sirene an, doch verliert sich ihr Lärm im Kanonendonner. Er kann die Sirene einer zweiten Maschine hören und lässt seine erneut aufheulen, um der Besatzung des zweiten Flugzeugs mitzuteilen, dass sie in der Nähe sind; wie Schiffe im Nebel lassen weitere Flugzeuge ihre Sirenen ertönen. Serge tippt Gibbs auf die Schulter und ruft.
»Wieder rauf.«
Gibbs zeigt auf seine Ohren und schüttelt den Kopf: zu laut, um ihn zu hören. Serge stößt einen Finger nach oben. Sobald sie über den Rauch steigen, versucht er, ein Signal an die Bodenstation zu schicken, was ihm aber nicht gelingt, wie er bald feststellen muss: Die aufgeschleuderte Erde hat den Funkensender verdreckt, die beweglichen Teile klemmen. Als er an die Cockpitseite hämmert, um die Erde herauszurütteln, löst sich gleich die ganze Morsetaste; beim Versuch, sie wieder anzubringen, reißt ein Kabel. Gibbs hält ihre Position auf dreitausend Fuß und wartet auf Anweisungen, aber Serge kann keine geben. Der Ausfall seines Funkensenders beschert ihm
ein seltsames, fast elektrisches Gefühl, beinahe, als flöge er nackt, als wäre plötzlich eine Schicht isolierender Außenhaut und eine weiche, innere, nachrichtenseidene Schicht von ihm abgezogen worden, und er
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