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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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selbst ritte nun auf den Frequenzen der Luft, pulsiere vor ihrem Hintergrund. Trotz seiner Diacetylmorphin-Trägheit beginnt er, im Unterleib wieder ein Kribbeln zu spüren. Und noch mehr Blut strömt dorthin, als Gibbs zurück in den Rauch stürzt. Nach hinten gekippt, Gesicht nach oben, steif werdend, sieht Serge, warum Gibbs abtaucht: Eine ganze Jasta fällt über die SE5 her. Die farbenfrohen deutschen Flugzeuge und die eher tristen englischen Maschinen umkreisen sich in wirren Wirbeln; ihre Kondensstreifen bilden einen Strudel, der mit dem Wind seitlich abdriftet. Wie Bienen sehen sie aus, die ein Honigglas umschwärmen. Eine englische Maschine wird in Brand geschossen. Zwei deutsche Flugzeuge brechen aus und stürzen sich hinab.
    »Albatrosse«, ruft Gibbs zu ihm nach hinten. Angst hat seine Stimme verstärkt und hörbar gemacht.
    Als sie durch die Rauchwolke sinken, lässt Serge aufs Neue die Sirene ertönen und sieht dann nach unten. Das Schlachtfeld ist mit Fragmenten übersät: Maschinenteile, Spiegelscherben, Gliedmaßen. In die Erde gekeilte Beine, die in athletischer Position aufrecht stehen, das Knie angewinkelt, als wollten sie zu einem Sprint oder munteren Sprung ansetzen, doch verharren sie reglos, da ihnen der restliche Körper fehlt, der ihre Handlung umsetzen könnte; abgetrennte Arme signalisieren sinnlos in diverse Richtungen; an der Hüfte durchtrennte Leiber parodieren antike Statuen. Gibbs fliegt eine Weile darüber hinweg, zieht die Maschine dann hoch und bringt sie für einen raschen Blick wieder über die Rauchwolke. Kaum steigen sie daraus auf, hört Serge ein rhythmisches Klopfen, als stünde ein Mechaniker an der Maschine und pochte an den Rumpf, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Leinwand
im hinteren Teil spannt sich bei jedem Klopfen und bebt; in gerader Reihe erscheinen kleine Löcher. Sie sehen aus wie aufspringende Druckknöpfe, fangen am Heck an und wandern auf seinen Sitz zu, wandern weiter und durchlöchern dabei den Boden. Ein wuchtiger Schatten taucht hinter ihnen auf, begleitet von einem lauten Geräusch, das Serge nicht einzuordnen weiß. Als es erst lauter und dann wieder leiser wird, blickt er auf und sieht dort, wo die Sonne sein sollte, eine Welle leuchtend buntes Metall niederstürzen. Es sinkt unter ihre Maschine; Serge reißt den Kopf herum, um der Masse zu folgen, und sieht, wie sie die Gestalt einer Albatros annimmt. Sie wendet unter ihnen, macht sich bereit, erneut anzugreifen, dann steigt sie auf, bleibt aber außerhalb ihrer Reichweite und gewinnt an Höhe, um wieder auf sie niederstoßen zu können. Farbig leuchtet der Unterbauch – über dessen zentralen Teilen, den unteren Flügeln, Worte geschrieben stehen. Er kann sie nicht recht erkennen, entziffert nur einzelne Buchstaben: ein K, ein M, ein C…
    »Schieß, wenn sie zurückkommt!«, schreit Gibbs und zeigt auf das Lewis-MG.
    Serge wendet sich von ihm ab und starrt auf die Albatros, die anmutig über ihnen wendet. Dann schaut er zum Bordgeschütz: Soll er schießen? Das deutsche Flugzeug ist schön, elegant und wendig; und unter all den Männern und Maschinen dieser Schlacht hat es sie erwählt, um sie mit seiner Farbe, seinen Worten anzufallen – als wollte es ihnen wie ein Engel der Verkündigung eine Nachricht überbringen, allein für sie, nur für ihn. Die Maschine schwebt fünfhundert Meter über ihnen, wird langsamer, Nase nach unten; dann geht sie in den Sturzflug, spuckt vorn wie mit spritzendem Pinsel gelbe, orangefarbene Streifen aus. Am Rumpf platzen weitere Druckknöpfe auf; Holme springen unter den Flügeln vor. Diesmal streicht die Albatros über die RE8 hinweg, und
die unter die Flügel gemalten Worte ziehen erneut vorbei: Das M sind eigentlich zwei N; das C gehört zu sch wie in schwer . Serge erkennt ein T, dann verliert er die Maschine erneut aus dem Blick; Gibbs zieht unterdessen eine Wende nach der anderen und versucht, den Feind abzuschütteln.
    »Schieß doch!«, schreit er Serge an.
    Serge wird nicht schießen. Er fühlt sich ruhig, passiv. Er will, dass die Albatros kommt, ihn aus seinem Nest pflückt und in einem Brausewind geflüsterter Konsonanten davonträgt. Er kann sie nicht mehr sehen – doch eine Reihe vom Fahrwerk aufsteigender Gänsehautpickel verrät ihm, dass sie aus dem Haiwinkel kommt, aus dem toten Winkel. Den Pickeln folgt ein Stoß in den Rücken. Er dreht sich um und sieht, wie Gibbs’ Schultern sich plötzlich straffen, gegen den Gurt pressen, dann

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