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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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beiden Laute ein melancholisches Heulen, das wie das lang ausgedehnte Kreischen einer abstürzenden Maschine klingt, die nie den Boden erreicht, dem sie entgegenfällt.
    Ein Tier huscht ihm fast über die Füße und verschwindet so rasch, wie es aufgetaucht ist. Ein Fuchs? Ein Hund? Es hatte irgendwas im Maul. Serge, den kaputten Funkensender noch im Arm, drängt weiter ins Unterholz. Mehr Tiere huschen davon. Sie halten alle etwas zwischen den Zähnen, graue, tiefrot gesäumte Happen; selbst den schwarzen Vögeln in den Bäumen hängen Fetzen aus dem Schnabel, über den hinweg sie ihn verächtlich mustern. Er kommt zu einer Stelle, an der ausnahmslos verkrüppelte Bäume stehen: Stämme gespalten, Äste zerbrochen, das Holz versengt und mit großen Teerflecken beschmiert. Auch am Boden sind überall Teerflecken, bedecken die winterliche Härte mit weichen, isolierenden Ablagerungen. Die Ablagerungen häufen sich, als er zu einer kleinen, versteckt im Wald liegenden Lichtung kommt. Hier liegt der Teer jetzt nahezu flächendeckend. Männer sitzen darin wie auf einer wattierten Decke, Rücken gegen Baumreste gelehnt, Tornister und Waffen zu den Füßen. Es müssen an die zehn, fünfzehn Soldaten sein, alle in deutschen
Uniformen, alle tot. Zusammengesunken kauern sie an den Stümpfen wie überreife Früchte, die aus der Form gehen und zu faulen beginnen. Die Gesichter sind zu Grimassen verzogen, die Mienen wie erstarrt in einem grotesken Gelächter, das an Wahnsinn grenzt. Serge schaut auf ihre Münder: Manche Kiefer sind gebrochen und hängen locker herab; zwei sind aufgerissen von Schrapnellen, Wunden, die sich über Brust, Hals und Wangen ausdehnen; ein Kiefer wurde restlos weggesprengt, zurück blieb nur ein Loch, durch das die Splitter zerbrochener Knochenreste ragen.
    Hier ist der Ton laut. Die deformierten Münder der Männer scheinen ihn auszusenden oder ihn, wenn nicht zu senden, so doch zu formen; verzerrte Gesichtsflächen und ausgestülpte Membrane bilden Behältnisse, in denen die Frequenzen und Klangfarben entwirrt und neu zusammengesetzt werden, um sie dann sowohl verändert wie auch verstärkt auszuschicken und zu übertragen. Obwohl ihre Augen keine Wahrnehmung mehr verraten und keine Reaktion zeigen, wirken sie elektrifiziert, wie unter Strom gesetzt, der, da er zu stark war, sie zerstört und mit ausgebranntem, hungrigem Blick zurückgelassen hat. Rote Striemen markieren ihre Kleider. Durch den Teer ziehen sich ähnliche rote Striemen, genau wie über den Rumpf der Albatros. Es ist ein helles Rot, beinahe Scharlachrot, das sich über die Baumstümpfe rankt wie eine im Wind flatternde Standarte und die winzige, überhangene Lichtung mit einem behaglichen Schimmer überzieht, der durchaus mit dem in der Luft hängenden süßen Geruch von Teer und Verfall harmoniert. Auch der Laut hängt in der Luft, verleiht der ganzen Szene etwas, was sich wie Hitze anfühlt, so als schwitzte die Erde trotz der Kälte und gäbe diese Phantome frei, ließe Knochen und Fleisch durch ihre Schichten nach oben wandern, vorbei an Lagen aus gefrorenem Mulch und Teer, und brächte sie zurück ins Leben, wenn auch in toter
Gestalt. Fast scheinen sie sich zu bewegen. Und einer der Männer bewegt sich tatsächlich: zieht sich am Baumstumpf hoch, setzt einen Fuß vor den anderen und taumelt in einer schnurgeraden Linie davon, die ihn an Serge vorbei zum anderen Ende der Lichtung führt.
    »Lebst du?«, fragt Serge, als er an ihm vorbeigeht.
    Der Mann stockt, hört einen Moment lang auf zu torkeln, dreht den Kopf in Serges Richtung und bewegt ihn über den Schultern ruckartig hin und her, während sein Blick den Funkensender mustert und Serges immer noch ausgebeulte Hose, ehe er sich wieder abwendet. In seinem Hals klafft ein Loch so groß, dass Serge hindurchsehen kann. Dann setzen sich die Beine wieder zuckend in Bewegung und tragen ihn plattfüßig auf seiner Bahn weiter voran.
    »Wo gehst du hin?«, ruft Serge ihm nach.
    Der Mann gibt keine Antwort. Er hört ihn nicht; er peilt selbst auch den hohen Ton an, wird zu ihm hingezogen, folgt ihm zur Quelle. Serge sieht der schlanken, femininen Gestalt nach, wie sie sich hinter Baumstümpfen davonstiehlt. Kurz bevor sie aus seinem Blick verschwindet, kommt sie an etwas Weichem, Weißem vorbei. Noch ein Fallschirm? Serge geht in dieselbe Richtung. Der Laut wird deutlicher: lauter, präziser. Im Gehen murmelt er nun Signalfolgen vor sich hin, Signale, die er in der Vergangenheit

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