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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Gestrüpp von jenem Dorf getrennt, über dem es thront: War mal ein Kloster, klärt ihn die Wache auf. Die Wachen sind hier besser auf dem Quivive als ihre Kollegen in Hammelburg, und die Offiziere sind strenger, wenn auch nicht unfreundlich. Ihr Feldwebel leitet einen vorwiegend aus Gefangenen bestehenden Bridgeklub, die er jovial ermahnt, lieber nicht zu flüchten, da ihnen sonst der vierte Mann fehlt. Er lässt sie sogar aus dem Lager – allerdings nur auf Ehrenwort. Das Ehrenwortsystem ist so absurd und widersprüchlich, dass es von einem der Philosophen Moretons hätte ersonnen sein können: Gefangene erhalten ihre vorübergehende Freiheit unter der Bedingung, dass sie keinen Gebrauch davon machen, und sie müssen mit ihrem Ehrenwort für diese Bedingung einstehen – daher der Name. Sie tauschen ihr Wort gegen einen Pass ein, der ihnen
am Tor beim Verlassen des Lagers ausgehändigt wird; kehren sie dann etwa eine Stunde später zurück, geben sie den Pass wieder ab, und ihr Wort gehört erneut ihnen. Für Serge fällt dieses Vorgehen in dieselbe Kategorie wie die Puppe im Bett: Es ist, als würde er sich jedes Mal verdoppeln, wenn er die Wortkarte holt und seinen Doppelgänger als Markierung zurücklässt. Vielleicht ist es aber auch genau anders herum: Er ist der Doppelgänger. Seine Empfindungen und Begegnungen auf den Spaziergängen durch Dorf und Feld sind die einer Puppe, Halluzinationen, denen vertragliche und linguistische Bande einen Hauch von Wahrhaftigkeit verleihen. Einmal träumt er sogar, dass er zu einem Flugfeld im Schatten des Klosters spaziert (in Wahrheit gibt es dort nichts dergleichen), in eine Maschine steigt, über den Rasen rollt – alles ganz legal, legitimiert durch sein Wort –, und dann, während er abhebt, irgendeinem vagen, fliegenden Aufseher zu erklären versucht, dass das Wort, das Wort , geändert wurde und nun unten im Lager bei seinem ausgestopften Ebenbild liegt, weshalb er nach Belieben zurück zur Front fliegen kann. Der Aufseher, immer noch gesichtslos, will wissen, wie denn das neue Wort (Passwort? Schlüsselwort? Rufzeichen? Keine Ahnung) lautet, stellt die Frage mit leiser Flüsterstimme: »Kennscht mi noch?«
    Während seines zweiten Frühlings in Gefangenschaft treffen eines Tages amerikanische Gefangene im Lager ein. Sie erhalten viel bessere Pakete als die übrigen Gefangenen: Salami aus New York, Rinderhack aus Chicago, jede Menge medizinische Vorräte. Serge freundet sich gezielt mit ihrem Sanitätsoffizier an und tauscht mehrere, ihm aus Versoie geschickte Gläser Honig und Holzapfelmarmelade gegen Diacetylmorphin-Spritzen ein.
    »Hast viel übrig für deine sister , wie?«, spöttelt der Sanitätsoffizier, ein Barney aus Queens in New York, als Serge zum dritten Mal zum Tauschen kommt.

    »Wie bitte?« Die Frage bringt Serge aus der Fassung.
    »Das sagen die Neger oben in Harlem dazu.«
    »Wozu?«
    »Zu dem hier«, erwidert Barney und zeigt auf die Spritzen. »Sister, Dope, Stoff, Schnee: Heroin. Nennt ihr hier es nicht so? Ich meine, in England?«
    »Nein«, antwortet ihm Serge nach einer Pause. »Ich glaube nicht.«
    Ihre Tauschgeschäfte werden bald zur Routine. Jede Woche händigt er Barney die Früchte von Versoies Obstbäumen und Bienenkörben aus und erhält dafür das Verlangte, woraufhin sister bald durch seine Venen strömt und stürmt. Ist er auf Ehrenwort draußen, sitzt er im Gestrüpp, den Kopf zugleich randvoll und völlig leer. In den Umrissen von Hügel und Fels verschwimmen Flugfelder, Tennisplätze und Stadtlandschaften und lösen sich wieder voneinander. Ginster streicht über seine Unterarme; Flechte fleckt seine Hose; es ist, als wollte die Landschaft seine Haut durchdringen und in ihm wachsen, wollte Gedärm und Hirn durch Heidekraut, Lavendel und Farne ersetzen, als wäre er nur eine ausgestopfte Puppe …
    Die Tennisplätze sind kein Produkt seiner Phantasie, zumindest einen gibt es tatsächlich im Dorf. Offiziere, die nicht so lethargisch sind wie er selbst, spielen regelmäßig, während andere Offiziere zuschauen oder sich unters Dorfvolk mischen, dessen Hass auf den Feind vom Verlangen nach Essbarem überlagert wird, was den Gefangenen gerade recht ist. Sie tauschen einige Dosen (bei diesem felsigen Terrain sind sie zum Tunnelgraben unnütz) gegen Zivilkleidung, die sie zurück ins Lager schmuggeln und in heimlichen Modeschauen mischen und kombinieren, bis sie das finden, was die französischen Offiziere un look nennen, eine

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