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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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versorgte sie eine alljährliche Exkursion zum benachbarten, rein männlichen Gargarean-Klan mit genügend Töchtern, um den Erhalt ihres Stammes zu gewährleisten. Entsprangen diesen Begegnungen männliche Kinder, wurden sie entweder zu ihren Vätern zurückgebracht, ermordet oder einfach ihrem Schicksal überlassen …«
    Das Licht geht aus, und er kann nicht weiterlesen. Gleich darauf setzt das Orchester ein; der Vorhang öffnet sich, und er sieht einen prächtigen Hof, an dem jedes Amt – das der Wachen, der Fächersklaven, des Anführers – von Frauen ausgeübt wird. Der Hof setzt zu einem Gesang an, einem Loblied auf Königin Penthesilea, das potenzielle englische Freier warnt, sie habe eine Antipathie gegen Anglophilie und könne Möchtegern-Thronprätendenten mit einem Schlag das Leben beenden. Penthesilea stellt ihre Schwestern Antiope und Hippolyte vor, die dann ein kurzes, trauriges Duett singen, dem zufolge sich jeder Mann, den sie für halbwegs akzeptabel hielten, als Niete erwies. Statt auf ihre Klage zu antworten, ruft Penthesilea einen Chor Pfeil und Bogen tragender Kriegerinnen auf
die Bühne, die entfernt an den kleinen, pausbäckigen Giles erinnern. Audrey gehört zu diesen Kriegerinnen. Sie recken die Waffen und stimmen eine mitreißende Hymne an:
    Uns langt’s von Spartanern und Thrakern
Auch wenn sie sich noch so abrackern.
Die gehör’n alle abserviert. (Am besten gleich massakriert.)
     
    Nimm Italiener, nimm Franzosen
In ihren allerschönsten Hosen,
Die sind alle so öd. (Wir sind doch nicht blöd!)
     
    Trojaner können schlau sein,
Doch nicht besser als ’ne Frau sein.
Ob Christ oder Jude,
     
    Ihr haltet euch zugute
Politik und Moral.
Doch auf uns wirkt das schal.
     
    Ein Mädel von heute
Braucht kein Glockengeläute,
Um zu sagen »Ich will«.
     
    Ihr Männer, schweigt still.
Amazonen zeigt die Brust!
Das Leben ist Lust!
    Es folgen noch zwei Strophen, beide mit »Brust« im Refrain. Dann tritt eine anachronistische Zeitungsverkäuferin auf und meldet den Ausbruch eines weiteren Krieges, zu dem die Soldatinnen sofort aufbrechen, um ihn im Handumdrehen zu gewinnen und einen Harem weiblicher Gefangener mitzubringen, die sie rasch zu einem Leben als Amazonen bekehren. Nach etwa zwanzig Minuten erwartet Serge, dass ein männlicher Held ans skythische Ufer gespült wird und sich in
der vorherrschenden Orthodoxie ein grundlegender Konflikt anbahnt, doch dazu kommt es nicht. Stattdessen folgt ein Feuerwerk fröhlicher Sketche, in denen man sich hinter dünnem Amazonenschleier über Aspekte des alltäglichen Londoner Lebens lustig macht – ein Taxi rufen, in einem Restaurant bestellen, mit den neuen Telephonnummern zurechtkommen. Serge verliert das Interesse am Stück und blättert, wenn Audrey nicht auf der Bühne ist, wieder im Programmheft, da sich seine Augen inzwischen an das Halbdunkel im Zuschauerraum gewöhnt haben. Er überfliegt eine Reklame für Osram-Birnen (»strahlend hell, günstig, langlebig, robust, bei allen führenden Elektroläden, Eisenwarenhändlern und Fachgeschäften«) und eine für ein Seekunde-Museum. Anfangs verliest er sich bei der ersten Worthälfte und muss an ein glitschiges, metallisch-schwarzes Etwas denken, eine Kreuzung aus Seelöwe und Unterseeboot. Auf der nächsten Seite wirbt ein kurzer Text für Vergnügungsflüge über die Hauptstadt, täglich vom Croydon-Aerodrom. Einen Moment lang fühlt sich Serge nach Klodĕbrady zurückversetzt: Wie er mit Lucia am Wehr steht und über ihnen die prähistorischen Flugzeuge dahinsegeln; dann wird Klodĕbrady Grundriss – das von den Alleen gebildete Liniennetz, die Kreise der Mausoleendächer, die inneren und äußeren Rechtecke der Schlossmauern und der Weg, der sich von dort zum Fluss schlängelt, vorbei an den Bootshäusern und weiter zum Wald – für ihn zu einem Gewirr aus Schützengräben, zu Wegen, die durch verbrannte Wälder und Dorfruinen in tristes, mit Bombentrichtern übersätes Gelände führen. Er malt sich einen Vergnügungsflug über ein Kriegsgebiet aus, den Blick von hoch oben auf das Gemetz el gerichtet, sieht dann wieder zur Bühne, auf der eine weitere Schlacht beginnt, und fragt sich, ob er in Frankreich nicht ebendies Tag für Tag getan hat: zum eigenen Vergnügen zugeschaut von seinem Platz hoch oben in der Galerie.
Vergnügungsflüge: Er muss daran denken, wie damals der Samen aus ihm herausspritzte und in hohem Bogen aufs Flugzeugheck fiel…
    Gleich nach der Show sucht er

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