K
beiden Männer streifen durch Galerien mit beschrifteten Grabsteinen, gerahmten Papyri und Skarabäenkabinetten.
»Das da ist Arsinoe in Gestalt der Eurydike«, erzählt Petrou, als sie vor der Statue einer Frau stehen bleiben, die ihren aufgeblähten Bauch hält, als sei sie schwanger. »Sie war die Frau von Philadelphus, dem zweiten Ptolemäer, zudem seine sieben Jahre ältere Schwester. Als sie an einer Magenverstimmung starb, war er untröstlich.«
»Schlechte Ptomaine«, murmelt Serge, doch Petrou hört ihn nicht.
»Und dies hier«, fährt er fort, legt wieder seine Hand auf Serges Brust und zieht ihn zum nächsten Ausstellungsstück, »ist Thot als Hermes – oder Hermes als Thot, je nach Perspektive.«
»Ach ja, er ist der mit dem Helm.« Serge nickt. »Cupido.«
»Erfinder der Schrift«, erklärt Petrou, »Gott der Magie, Zeitnehmer, Götterarchivar. Angeblich war Thot-Hermes auch der Verfasser der hermetischen Schriften des römischen Ägypten. Und das hier sind Bastet und Sachmet.«
»Die sehen wie Katzen aus«, sagt Serge.
»Sind sie auch, gewissermaßen: Sachmet hat den Kopf einer Löwin und hält in der Hand eine goldene Blume, Symbol für die Sonne, deren Hitze ihr Körper aufnimmt und wieder abstrahlt. Bastet ist die typische Katzengöttin. Zu Zeiten der Pharaonen fand man ihre Statue überall.«
»Ist das die Bedeutung von ›Pharao‹?«, fragt Serge. »›Sonne‹? Wie phare in Pharos?«
»Nein, Pharao bedeutet ›Haus‹«, antwortet Petrou. »›Großes Haus‹.«
Sie gehen weiter in einen Raum mit kleinen Statuen. »Grabkunst«, erklärt Petrou. »Tote Kinder.«
Serge mustert eine ganze Reihe. Eine Statue stellt einen kleinen Jungen auf den Schultern seiner Mutter dar, während die nächste dasselbe oder ein ihm sehr ähnliches Kind auf einem von Hunden gezogenen und mit Weintrauben beladenen Spielzeugstreitwagen zeigt. Eine weitere Grabbeigabe zeigt Schüler beim Unterricht.
»Relikte frühzeitlicher jüdischer Siedler«, sagt Petrou. »Auch von Christen. Und natürlich von Griechen. Die Religionen verschmelzen. Das da zum Beispiel«, fährt er fort und führt Serge die Reihe entlang wie einen Würdenträger, dem Staatsbeamte vorgestellt werden müssen, um schließlich vor
einer stierköpfigen Gestalt stehen zu bleiben, »ist Serapis, eine von Soter, dem ersten Ptolemäer, für die Stadt zusammengeschusterte Gottheit: Dionysos, Osiris, Apis, Zeus, Äskulap und Pluto, viele in einem, denn hier hat alles angefangen, in der Stadt der Sekten und Synkretismen.«
»Und des Inzests«, setzt Serge hinzu.
Ohne auf seine Worte einzugehen, führt Petrou ihn zu einer großen Schriftrolle, die offenbar ein Diagramm zeigt: In Schwarz-Weiß steigt über einem Satz verbundener Ringe, in die kleinere Ringe mit den Bildern von Vögeln, Kompassen oder Uhrenblättern eingelassen sind, eine weibliche Figur auf. Auch sie selbst besteht vorwiegend aus Kreisen: Runde Brüste mit konzentrischen Nippeln, zwischen denen ein Kreis mit einem Kreuz oder einer Antenne darüber hängt; in ihrem runden Bauch schwebt ein dralles Baby; und der Kopf über den Schultern wird von der Sonne geformt, einer vollkommenen Scheibe. Worte zieren das Diagramm auf allen Seiten: »Lumen Naturae«, »Oculus Divinus«, »Tinctura Physica«, »Wasser«, »Soda«, »Terra« und »Blut«.
»Sophie«, sagt Petrou ehrfurchtsvoll.
»Wieso Vieh?«, fragt Serge.
»So heißt sie: Sophie, Sophia, die gnostische Weisheit. Syzygium Christi.«
Serge schweigt einen Moment und sagt dann: »Syzygium, damit kenne ich mich aus. Deshalb sind diese Scheiben dunkel.«
Er zeigt auf die beiden finsteren Sonnen rechts der um sie angeordneten Ringe. Eine Scheibe ist leer wie Kohlepapier, die andere füllt ein Schädel. Darüber und links davon windet sich ein Fluss flach wie der kanopische Nilarm zwischen ihre Beine hinauf.
»Philo von Alexandria hat sie erdacht, um die Kluft zwischen Mensch und Jehova zu schließen. Sie ist der Logos, Bewohnerin des Innersten. Schau auf ihre Brüste.«
Er streckt den Finger aus, dem Serges Blick folgt. Über dem Antennenkreuz sieht er ein großes Haus schweben, geformt aus einem Viereck, in das weitere Fenstervierecke eingelassen sind; das Dach ist ein Dreieck.
»Philo war ein jüdischer Platoniker«, fährt Petrou fort, »doch die Christen hoben den Staffelstab Logos auf und rannten damit auf und davon. Für sie war Sophia eine traurige Gestalt, Symbol unseres Verderbens. Bei Valentinus – ebenfalls
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