K
…«
»Er kommt bald«, unterbricht sie ihn.
»Wer?«
»Morgen oder übermorgen kommt er zurück.«
»Ach, Vater! Übermorgen, ja. Warum…«
»Vater!«, schnaubt sie verächtlich. »Er ist nicht dein… Nein, der andere. Monarch. Ist nicht paraphyletisch.« Sie schweigt kurz und fährt gleich darauf fort: »Er hat mir die Transposition beigebracht. Dann schleicht er sich in meinen Schlafsaal und richtet ein Blutbad an.«
Serge fröstelt. Draußen ist es kalt, aber daran liegt es nicht, dass ihn ein Schauder überläuft: Es liegt an dem Gefühl, dass Sophie von Dingen redet, für deren Verständnis er schlichtweg nicht geschaffen ist; weit wie interstellare Entfernungen öffnen sich Ahnungen in ihren Worten, dehnt sich maßlos die Kluft zwischen ihnen aus. Er fragt: »Was für ein Schlafsaal? Der, in dem du in London schläfst?« Sie wohnt in South Kensington in einem Internat für junge Damen, gleich gegenüber dem Wissenschaftsmuseum.
»Nein«, antwortet sie. »Da nicht. Ich muss ihn in mir töten, sonst kommen noch mehr Leiber: Segmente, auf dem Schlachtfeld.«
»Du bist ja irre«, sagt Serge. »Ich höre mir diesen Unsinn nicht länger an. Geh ins Bett, sonst wecke ich Maureen, und die schleift dich ins Haus.«
Sophie schaut ihn verwirrt an, dann blickt sie sich im Garten um. Der Tag bricht an. Vögel singen im Gebüsch und in den Bäumen jenseits der Mauer; zwei hüpfen über den taubedeckten Rasen. Zu seiner Überraschung lässt sie die Irisstängel los, gehorcht seinem Rat und geht langsam neben ihm her zum Haus. Sie geht auf ihr Zimmer, er auf seins. Serge schläft den ganzen Tag und träumt von Sophies Innereien,
ihrer Füllung: von leidenschaftlich sensibilisierten Organen, wobei äußerlich Klappglieder zucken und rucken, vor zerknittertem Hintergrund stromgalvanisiert, der Körper innerlich wie äußerlich von Übertragungen erschüttert. In seinem Traum wird die Couch zum Seziertisch, Sophie zum Vogel, zur Katze, zu einem Insekt, dessen Magen geöffnet wurde; Herz, Kaumagen und andere, namenlose Teile ergießen sich als ein langer Wandteppich, als ein seidener Schal, schwappen heraus an die Luft, bleiben an Kabeln kleben. Er wacht auf, selbst klebrig und auch beschämt.
»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, fragt ihn Maureen, als er schließlich in die Küche kommt. »Und wo bleibt deine Schwester?«
»Schläft noch«, sagt er. »Wir waren gestern beide lange auf.«
»Der Tagesablauf in diesem Haus ist völlig durcheinander«, schilt Maureen. »Sobald Mr Simeon zurück ist, gibt es wieder anständige Essenszeiten, zu denen alle am Tisch sitzen.«
Serge zuckt mit den Achseln, isst ein Honigbrot und schlendert zu Sophies Zimmer hinüber, um nachzusehen, ob sie noch schläft. Sie ist nicht da. Also geht er die Treppe wieder hinunter und durchs Labyrinth in den Mosaikgarten. Es ist ein ruhiger Tag; die offenen Blüten der Frühlingsblumen schwanken im späten Nachmittagslicht, und noch knospende Blumen sondern klebrigen Saft ab, locken Bienen an. Als Serge zu Sophies Labor kommt, weicht der Blumenduft einem anderen, leicht säuerlichen Geruch, der ihn anfangs an Marzipan erinnert. Die Tür steht offen; er tritt ein, und der Geruch wird stärker – viel stärker und auch schärfer, fast wie der von Apfelschnaps. Sophie sitzt auf ihrem Stuhl, ein Glas in der Hand, doch hält sie es fast waagerecht. Die Hand ist steif; der Mittelfinger zeigt auf das Schaubild an der Wand. Die Augen sind offen. Es sieht aus, als wollte sie ihm im ausufernden
Netz etwas zeigen – ein neues Wort, eine Gestalt, eine assoziative Zeile. Erst als Serge seinen Blick darauf richtet, registriert er, gleichsam im Nachhinein, die Speichelflecken, die Sophies Lippen mit wie von einem Insekt hinterlassenen Bläschen überziehen.
III
Die Begräbnisvorbereitungen dauern ihre Zeit. Eine schnelle Beerdigung stand auch nie zur Debatte. Wie bei jedem Tod durch Vergiften müssen die Autopsie und der Bericht des Gerichtsmediziners abgewartet werden. Serges Vater beschäftigt sich in der folgenden Woche mit den entsprechenden Vorbereitungen: verschickt Einladungen, stellt ein Programm für die Totenfeier auf, lässt es drucken, bespricht das Buffet mit Maureen und Frieda und prüft jeden Tag den Wetterbericht in der Zeitung …
Das Ganze soll draußen stattfinden, genau wie das Historienspiel, allerdings im Krypta-Park, nicht auf dem Maulbeerrasen. Der Vikar von St. Alfege wird ein paar Worte sprechen, die Tagesschüler
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