K
metallenen Schalterkasten versehen. Karrefax geht hin und legt den Schalter um: an, dann aus. Der Kasten stöhnt leise, Ringe rucken, und die Vorhänge, je einer auf den beiden Seiten des Grabens, Saum bis auf den Boden, zucken kurz und hängen dann wieder still da.
»Wunderbar!«, sagt Karrefax. »Alles bereit. Wir fangen an mit…«
Er wird unterbrochen von einem allgemeinen Rascheln, da sich sämtliche Köpfe dem Eingang zuwenden. Seine Gattin tritt verspätet durch das Tor in den Krypta-Park, von einer Reihe Frauen begleitet. Sie trägt etwas vor sich her, hält es behutsam in aufwärtsgewandten Händen. Wie Rugbystürmer, Arme eingehakt, bewegt sich die Reihe geschlossen nach vorn.
Die Mienen sind statuenhaft, neutral und unbewegt. Die langen Kleider lassen es aussehen, als schwebten die Frauen über den Rasen, als glitten sie auf ihren eigenen, unsichtbar im hohen Rasen verborgenen Luftschienen dahin. Stumm verfolgen die Trauernden ihre Ankunft; selbst Karrefax, der Vikar, Miss Hubbard und die Tagesschüler beobachten sie. Langsam, doch unaufhaltsam schweben die Frauen zur Hauptgruppe, als planten sie einen Angriff. Und dann, gerade als man meint, sie stießen gleich gegen die Posten am Graben, bleiben sie stehen, nicht weit vom Sarg entfernt – alle, außer Mrs Karrefax, die zum Grab weitergeht und das Leichentuch ablegt, das sie in den Händen gehalten hat, um es nun aufzufalten, bis es den ganzen Sarg bedeckt. Auf einem weißseidenen Hintergrund ist in roter und grüner Seide ein Insekt zu sehen, das sich an einer Blüte labt.
Karrefax nickt dem Vikar zu, der hüstelt und dann zu reden beginnt: »Freunde«, sagt er und strahlt, »wir sind nicht voller Verzweiflung, sondern aus Dankbarkeit gekommen, dankbar für das Geschenk dieser letzten siebzehn Jahre …«
Ein Schluchzen löst sich aus der Menge der Trauernden. Der Vikar strahlt noch intensiver, noch angriffslustiger, als er fortfährt: »… dankbar auch dafür, dass die Seele von Sophie Annabel Karrefax zurückgefordert wurde – eingelöst, wie man einen Gutschein einlöst oder einen bei der Pfandleihe abgegebenen Gegenstand –, eingelöst, dessen bin ich mir gewiss, mit großer Freude seitens dem, von dem sie geschaffen wurde. Wenn wir bedenken …«
»Seitens dessen«, sagt Karrefax.
»Wie bitte?«, fragt der Vikar.
»Seitens dessen , von dem sie geschaffen wurde«, korrigiert ihn Karrefax.
»Richtig, seitens dessen, von dem sie geschaffen wurde«, wiederholt der Vikar. Ehe er fortfährt, richtet er sein Strahlen
wieder in die Runde. »Wenn wir bedenken, dass wir alle gleichsam nur leihweise auf Erden weilen, lernen wir vielleicht einzusehen, dass wohl niemand mehr als jene geschätzt wird, die man früher zurückfordert. Oder denken Sie an geliebte Dinge, die Sie verliehen haben …«
Nach einigen Sätzen hört Serge nicht mehr zu. Er kann die Worte des Vikars natürlich verstehen, aber sie sind nur noch Geräusche. Seine Aufmerksamkeit liegt irgendwo darunter, tiefer. Er blickt zu Boden und sieht im Gras einen Käfer, der einen Erdbrocken, um ein Vielfaches größer als er selbst, vor sich herschiebt. Der Käfer versucht, den Brocken vorwärtszubewegen, doch jedes Mal, wenn er ihn eine kleine Anhöhe im Weg hinaufzuschieben versucht, rollt er auf ihn zurück. Ob das ein Balkankäfer ist?, fragt sich Serge. Ein Tatzenkäfer? Er betrachtet den mit Blume und Insekt bestickten Sargbehang. Das Tuch ist dünn und liegt locker über dem Holz; Sonnenlicht dringt hindurch und wird von den Messinggriffen zurückgeworfen, um nun von innen nach außen zu scheinen, sodass die weiße Seide aufleuchtet und Insekt und Blume dunkel wie Silhouetten schimmern; fast meint man, sie sich unter dem Stoff bewegen zu sehen, als wären sie belebt. Das Sonnenlicht fällt auch auf die großen Erdhaufen am Grabenrand, lässt die Umrisse verschwimmen, und es sieht aus, als hätten sich winzige Klumpen gelöst und schwebten nun darüber. Die stählernen Schienen im Graben glitzern blau und silbern. Sie scheinen zu summen, so wie Schienen summen, wenn aus der Ferne ein Zug naht, kurz ehe man ihn selbst hört…
Das Summen, ob echt oder eingebildet, wird stärker: Serge fühlt, wie sich die Vibrationen über den Rasen fortpflanzen, wie sie aus dem Boden in seine Füße dringen, die Beine hinauf bis in die Leistengegend wandern. Sie beleben sein Fleisch, richten es auf. Er kann nichts dagegen tun, kreuzt die
Hände vor dem Schritt und schaut sich um: Alle sehen den
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