K
Baldwick, Clegg…«
Die Männer tragen Zivilhemden, vorn halb aufgeknöpft, sodass ihr lockiges Brusthaar vorquillt. Sie grüßen lässig.
»In welcher Einheit bist du?«, fragt Clegg.
»K.«
»Aha, dann seid ihr heute Abend die Gastgeber. Also her mit dem guten Zeug.«
Mit dem guten Zeug ist ein landestypischer Dessertwein von glutgelber Farbe und bittersüßem Geschmack gemeint. Als die Männer ihre Gläser heben, beginnen sie zu singen:
Über uns knarzen die Balken,
Die Wände um uns sind kahl (sind kahl).
Sie hallen vor schepperndem Lachen,
Als wär’n auch die Toten da (Toten da).
Serge kennt den Text nicht, murmelt die Worte aber halblaut mit und hebt die Stimme zur zweiten Strophe:
Die Welt besteht nur aus Lügen,
Drum hebt eure Gläser und trinkt (und trinkt)
Auf den, den als Nächsten sie kriegen,
Und auf die, die längst schon tot sind (tot sind).
Nach dem Essen kurbeln sie ein Grammophon an und legen Varietémusik auf. Serge schleicht sich nach draußen und macht sich im Dunkeln auf den Weg durch das hohe Gras, dann durch das kurze Gras am Waldrand, zurück zu seinem Hausboot. Er sitzt an Deck und sieht einer durch das ölige Wasser gleitenden Barkasse nach, die wieder mit Dingen beladen ist, deren von einer Plane bedeckte Konturen an verbogenes Metall denken lassen, vielleicht auch an Tiere, an die Höcker und Falten ihrer Glieder und Torsi. Im kabbeligen Kielwasser des Boots sieht Serge eine Ratte zum anderen Ufer schwimmen.
Das schwarze Wasser rund um den Rattenkopf ist mit grellen Farbstreifen durchwebt: gelb-orange, weiß-grünlich, Spiegelungen des Geschützfeuers am Firmament. Der Lärm der Salven kommt spät, oft erst, wenn ihr Widerschein am Himmel und im Fluss schon verblasst ist; neue Feuerwellen fallen mit dem nachklingenden Lärm zusammen, holen ihn ein, überlappen sich damit.
»Pause«, sagt Serge zu niemand Bestimmtem, oder doch vielleicht zur Ratte.
Einen Moment lang verebbt das Flackern, das ganze Land verstummt. Gar nicht weit fort schwebt lautlos eine Leuchtkugel nieder, zeichnet die Silhouetten der Pappeln nach und säumt ihre Blätter mit frostigem Licht wie mit Raureif. In der Ferne gehen andere, kleinere Lichter an und aus, glimmen wie Glühwürmchen. Verspätet hört man ihr Knattern, dann das lautere Stottern, danach hohe, dröhnende Eruptionen: Lärm und Lichter vermengen sich, während der Himmel wieder zum Leben erwacht wie eine prächtige Maschine, die sich langsam warm läuft.
8
I
Stunde X ist heute um sieben Uhr früh. Serge ist schon zwei Stunden zuvor aufgewacht, geweckt von der Heckwelle eines Schleppers, die gegen den Rumpf seines Hausboots plätscherte. Er wäscht sich, geht zur Kantine und isst zwei Scheiben trocknen Toast, die er mit gesüßtem Tee mit Kondensmilch runterspült. Noch gut fünfzehn weitere Piloten und Beobachter schlurfen herein, nehmen mit trüben Blicken Platz, husten und furzen sich in einen halbwegs wachen Zustand. Zigaretten werden beim Frühstück geraucht, in noch mit Essen gefüllte Münder gestopft, auf dem Tellerrand abgelegt, in leeren Eierschalen ausgedrückt. Um sechs Uhr kommt Walpond-Skinner hereinmarschiert und teilt die kopierten Befehle aus.
»Fünf Maschinen heute zur AB, drei SE5 als Begleitschutz. Vier Ziele für jede Maschine: Zwei in der ersten Stunde ausmachen, zwei in der zweiten, alle vier unter Beschuss nehmen in der dritten. Kennruf steht auf Ihrem Papier.«
Serge senkt den Blick auf das Blatt. Seine Batterien sind E bis H, sein Kennruf ist die Drei. Die Buchstaben auf seinem Zettel sind ungenau und schimmern malvenblau: drittes Blatt im Durchschlag, am weitesten vom Farbband und den Tasten entfernt. Unter dem Marschbefehl findet er eine auf weißerem, nicht ganz so körnigem Papier gedruckte, große, mehrfach gefaltete Karte. Serge breitet sie auf dem Tisch aus und entdeckt zwischen den Planquadraten mit ihren von
Tasse und Toastständer verzerrten Rändern die mit Pfeilen markierten Ziele, daneben ihre in roter Tinte geschriebenen Koordinaten: zwei feindliche Batterien, ein Munitionslager, eine Kreuzung. Lager und Kreuzung sind für ihn neu, Batterien hat er schon seit über einer Woche immer wieder ins Ziel genommen.
»Memo von der Zentralen Funkstation: Bodenbeobachter melden immer noch starken Störfunk«, liest Walpond-Skinner ab. »Merken Sie sich die zugeteilten Wellenlängen und Anweisungen. Achten Sie darauf, immer einen halben Kilometer Mindestabstand zur nächsten Maschine einzuhalten.
Weitere Kostenlose Bücher