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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Transportbarkasse, die ihn langsam über schwermütige Wasserstraßen nach Saint-Omer bringt, vorbei an mit Wellblech gedeckten Schuppen am Rand hinfälliger Dörfer. Rostige Dosen und schwimmender Abfall sind dem Boot wie sarkastische Blüten in den Weg gestreut. Weiter flussabwärts verbreitert sich der Strom und teilt sich in mehrere Arme, in deren Fluten gleich unter der Oberfläche Wasserpest träge in langen Schwaden wedelt. Binsen und Riedgras lassen die Ufer verschwimmen; aus ihrem Dickicht hört Serge die Rufe der Wildenten, Blesshühner und Reiher rätselhaft von Ufer zu Ufer widerhallen, als teilten sie ihre eigenen Marschbefehle aus. Wie ein niedriger Nebel hängt darüber der Gefechtslärm, lauter als in Hythe. Bis zur Front mag es noch weit sein, aber jetzt ist das Grollen hier , im Fadenkreuz, fast mit Händen greifbar …
    Dieselbe schwermütige Lethargie herrscht auch in Saint-Omer. Die Stadt ist voller Männer, die auf Bänken und Banketten schlafen, vor Cafés und auf dem requirierten Bouleplatz. Serge könnte nicht sagen, ob ihr Schnarchen oder der Gefechtslärm das vorherrschende Geräusch ist, als er über
achtzehn, zwanzig lang ausgestreckte Beinpaare hinweg die Stufen zu dem Gebäude hochgeht, in dem er sich melden soll. Er trifft auf einen gelangweilten Unteroffizier, der an einem Tisch sitzt und Zigaretten raucht, eine nach der anderen.
    »Einhundertvierte?«, fragt er, nachdem er den Zettel gelesen hat, den Serge ihm gab. »Die ist im Augenblick vollzählig. Da müssen Sie warten.«
    »Worauf?«, fragt Serge.
    »Dass einer draufgeht.« Der Unteroffizier drückt eine Zigarette aus, zündet die nächste an und fährt fort: »Sollte nicht lange dauern.«
    »Und was mache ich bis dahin?«, fragt Serge weiter.
    »Schlafen, ein Omelett im Bistro bestellen, in der Nase popeln – mir doch schnurz!«
    Serge bestellt sich ein Omelett im Bistro und beginnt ein Gespräch mit einigen Männern vom RFC, dem Königlichen Fliegerkorps, die ebenfalls auf ihren Einsatz warten. Sie lachen, als er ihnen erzählt, dass er auf einer Shorthorn ausgebildet wurde.
    »Das ist, als würdest du auf einem Pferdekarren lernen, wie man einen Rennwagen fährt!«
    »Worauf seid ihr ausgebildet worden?«
    »Na ja, wir haben auf Long horns angefangen und dann mit Avros weitergemacht.«
    »Die Avro ist ein Scheißhaufen«, sagt ein anderer Flieger. »Die Querruder sind witzlos, bei jeder Rechtskurve schmiert sie ab, und ein Höhenruder hat sie auch nicht. Drei der Kadetten, mit denen ich ausgebildet wurde, sind während meiner Zeit auf einer Avro krepiert.«
    »Wir haben auch drei verloren«, sagt Serge. »Einer ist allerdings nur verkrüppelt.«
    »Bei uns waren es fünf!«, wirft der erste Mann triumphierend ein und schiebt eine Hand mit ausgespreizten Fingern
über den Tisch. »Seit ich hier bin, sind noch zwei umgekommen.«
    »Wie?«, fragt Serge.
    »Dieser Oberfeld ging schwimmen und ist in einem tiefen Teich ertrunken. Ein zweiter Kerl wurde von einer Ladung Kohle zerquetscht.«
    »Da war noch einer«, wirft ein dritter Mann ein. »Bekam eine Kugel ins Herz, als von irgendwem die Waffe losging.«
    »War doch seine eigene Knarre«, sagt ein Vierter.
    »Nein, das war der Typ, der die Woche vorher gestorben ist«, verbessert ihn der Dritte.
    Serge kaut sein Omelett und fragt sich, ob es wirklich nötig ist, gegen die Deutschen zu kämpfen. Sie könnten doch, jeder auf der eigenen Seite, einfach die Zeit vertrödeln und bei willkürlichen Unfällen sterben, bis keiner mehr übrig ist und der Krieg sich von selbst erledigt hat. Nach dem Essen unternimmt er eine kurze Erkundungstour durch die Stadt, dann macht er es sich am Teich auf dem Hauptplatz bequem, stiert eine Lotusblume in der Wassermitte an und döst vor sich hin wie alle anderen Soldaten auch.
    Die nächsten Tage vergehen nach demselben Schema: morgens Meldung beim rauchenden Unteroffizier, im Bistro essen, herumlaufen, dösen. Am vierten oder fünften Tag gibt ihm der Unteroffizier schließlich Bescheid, dass in der Staffel ein Platz für ihn frei geworden ist. Zusammen mit zehn weiteren Soldaten besteigt er einen Crossley-Lkw. Sie sitzen hinten auf der Ladefläche, und die Federung dämpft kaum das Gerüttel und Geschüttel der über Kopfsteinpflaster rollenden, mit Stahlspikes gespickten Reifen. Es riecht nach Rizinusöl; Serge weiß nicht, ob der Geruch vom Laster kommt oder von draußen hereinweht. Das Land ist riesig und leer; Lerchen ziehen drüber hinweg,

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