K
herkommen.«
»Es sind Franzosen«, sagt Serge.
» Français !« Der Mechaniker nickt – ehe er wie zum Beweis La Marseillaise anstimmt. Vier Piloten schlendern zu ihnen
rüber, schenken ihnen ein Glas Cognac ein und spazieren dann über das Flugfeld zurück zu zwei schnittigen schwarzen Wagen, an denen elegant gekleidete, rauchende Damen lehnen, deren Zigaretten in langen Elfenbeinhaltern stecken.
»Blöde cigognes «, faucht Clegg, als Serge ihm in der Kantine später von diesem Vorfall erzählt. »Die reinsten Playboys: Rennfahrer, Verbindungshalbs in der Rugby-Nationalmannschaft, Comptes de Trou-de-Cul. Nichts als Ballonplatzer, was anderes wagen die gar nicht anzugreifen. Geraten sie in einen echten Einsatz, machen sie sich schneller in ihre französischen pantalons , als man Pisse sagen kann. Aber kaum sind sie nach ihren Hasenfußkampagnen gelandet, brausen Pariser Animierdamen mit ihnen in die Oper, um sich Manon oder Salammbô anzusehen, während wir hier herumhocken und zerkratzte Felix-Powell-Platten hören. Dieser Krieg ist einfach nicht fair.«
Stimmt, die Felix-Powell-Platten sind tatsächlich ziemlich zerkratzt, ebenso die mit Marie Lloyd, Vesta Tilley und Ella Shields. Werden sie abends aufgelegt, tanzen manchmal einige Offiziere, was jede Menge Leute anlockt, die sehen wollen, wer führt und wer die Frau gibt; andere Offiziere schwärmen unterdessen gern von der »guten alten Zeit« des Krieges.
»Schade, dass wir keine Schirm-Eindecker und Moranes mehr fliegen«, seufzt Watson bekümmert. »Erinnert ihr euch noch an die Wurfsäcke?«
»Eine Riesengaudi, diese Dinger«, sagt Dickinson. »Man hat seine Nachricht hingekritzelt, reingesteckt, den Sack direkt über der Berichtstation abgeworfen und ihm nachgesehen. Der Funk hat alldem ein Ende gemacht.«
»Als ich herkam, gab es da diesen Piloten«, erzählt Baldwick, »der sagte, im Einsatz hätte er den anderen Piloten im Vorbeiflug immer zugewinkt. Man hatte schließlich nichts gegeneinander. Und das erste Mal, sagte er, als oben einer
auf ihn geschossen hat, da konnte er es erst gar nicht glauben: Er fand es so stillos …«
»Was ist aus ihm geworden?«, fragt Watson.
»Was glaubst du?«, antwortet Baldwick. »Letztes Jahr, vielleicht auch Ende 1915, hat er die Fackel gemacht: carbonisé .«
» Karbo-nie-zee «, wiederholen Dickinson und Watson wie aus einem Munde, als besäße das Wort eine mantrische Macht ähnlich dem Amen in der Kirche.
»Er war wirklich ein echter alter Haudegen«, erzählt Baldwick, »mindestens vierundzwanzig.«
Baldwick ist zwanzig, ein Jahr älter als Serge; Watson einundzwanzig. Was Serge betrifft, könnten sie ebenso gut schon seit den Tagen vor seiner Geburt in der 104. fliegen. Jeder Monat zählt hier wie eine ganze Generation. Das macht Vierundzwanzigjährige, die vorbeifliegende Deutsche freundlich gegrüßt haben, zu fernen Ahnen, die eher in die Kategorie Steinreliefs, illuminierte Handschriften und Wandteppiche gehören, mit ihren Geschichten, die nicht ganz zu fassen sind und nicht zu einer Gegenwart passen, in der auch Serge einen Platz einnehmen könnte. In der Kantine aber wird endlos über solche Vorfahren geredet: Den Toten schenkt man hier mehr Aufmerksamkeit als den Lebenden. Jede Woche steigen ein, zwei weitere Flieger in die olympischen Gefilde auf; und wenn Grünlinge sie ersetzen, rücken Serge und die übrigen Flieger einen Platz in der Ahnenkette vor, eine Generation für jeden Neuankömmling. Ehe Piloten und Beobachter zur Artilleriebeobachtung oder Streife aufsteigen, legen sie ihren Lohn in eine Eisenkassette, die aus bestimmtem Grund genau dafür ausgewählt wurde – einem präzisen Grund, doch gibt es über die Details dermaßen viele Mutmaßungen und apokryphe Überlegungen, dass sie sich niemandem mehr erschließen. Kehrt einer der Männer nicht zurück, wird mit seinem Anteil
ein Ausflug der Überlebenden ins Encas Estaminet in Vitriers finanziert.
Das Dekor im Encas ist eher unauffällig gehalten. Fliegenbraune Spiegel täfeln die Wände der beiden Räume; der verzinkte Tresen sieht aus, als wäre er aus einem abgeschossenen Flugzeug oder einem verunglückten Crossley-Laster gerettet und wiederholt mit dem Hammer bearbeitet worden, um flach geklopft zu werden, was offenbar aber die gegenteilige Wirkung hatte: Es ist nämlich schier unmöglich, darauf ein Glas abzustellen. Die Tischplatten sind aus Marmor, der seinen Glanz schon vor Jahren verloren haben muss, von schmierigen
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