Kabal: Gesamtausgabe der Order of Burning Blood Trilogie Band I bis III (German Edition)
mochte. Sie nahm auch an, Jenara und ihre Gefolgsleute hatten keine Ahnung, dass dieser Ort überhaupt existierte. Es war unmöglich, ihn aus der Ferne zu erspähen, der Zugang über die Berge war unpassierbar. Die spiegelnde Oberfläche zeigte zwar die Umgebung, verschluckte aber auf rätselhafte Weise jeden helleren, direkten Lichtstrahl, der auf die polierten Mauern des Bauwerks traf, wie sie bei früheren Besuchen erfahren hatte. Dabei hatte sie auch beobachten können, dass sich kein Vogel über die hohen Spitzen des Sioraan-Massivs wagte und selbst die intelligenten Kraindrachen machten einen instinktiven Bogen um die Gipfel.
Etwas beschützte und hütete diesen geheimen Ort und es war nicht nur seine Lage in dieser Höhe. Dieser Schutzgeist war eine Art von Bewusstsein, das heute allerdings zum ersten Mal, seit Charna diesen Ort entdeckt hatte, nicht mehr anwesend war, wie sie jetzt erstaunt bemerkte.
»Bist du mit den Sidaji fortgegangen? Oder sind sie fort, weil du nicht mehr über sie wachst?«, rief sie in die Tiefe.
Wie sie erwartet hatte, antworteten ihr nur die Echos ihrer eigenen Stimme.
Sie versetzte sich mit einem Gedankenbefehl an den Fuß des Bauwerks aus Glas und stand vor einem Portal, das halb von Schnee und Eis begraben war. Ein einziges Schriftzeichen schimmerte in dem zwanzig Schritt hohen Tor, welches aus einem harten, weißen Gestein bestand, das eigenartigerweise ihr Spiegelbild reflektierte. Das Zeichen auf dem Tor war ihr bekannt, es war das Symbol der Unendlichkeit, der gewundenen Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. Sie fegte Schnee und Eis mit einem telekinetischen Befehl hinfort und hob die Hand in Richtung des Durchgangs. Die Struktur des Materials ertastend, spürte sie seine Verflechtungen mit der Konstruktion des Bauwerks und löste kraft ihrer Gedanken Schritt für Schritt die Sicherungen der Pforte, die tiefgreifend mit der Essenz des Steins verbunden waren. Seit ihrer Kindheit, seit den Lehren ihrer Mutter, hatte sie eine derartige Aufgabe nicht mehr gelöst und es kostete sie eine große Kraft und Konzentration, so tief in die Materie der Wirklichkeit vorzudringen. Als der letzte unsichtbare Riegel sich ihrem Willen beugte, blickte sie erwartungsvoll auf.
Lautlos hob sich die massive Tür in die Höhe und gewährte ihr dadurch Einlass. Sie ging hinein und setzte ihre nackten Fußsohlen tastend und vorsichtig auf einen spiegelglatten und vollkommen perfekten Boden. Der Korridor war ein kalter Ort aus Glas, Stein und künstlichem Licht, welches grell in jeden Winkel drang. Ebenso still wie zuvor schloss sich das Tor selbsttätig hinter ihr und die Beleuchtung nahm einen Augenblick an Intensität zu, bevor sie auf ein angenehmeres Maß herabfiel.
Eine Art Schleuse? Dieser Ort ist sehr sauber. Und muss es unter Umständen auch sein. Das Licht hat gewiss eine reinigende Wirkung.
Sie folgte dem Korridor, vorbei an Maschinen und Konstrukten, die sich links und rechts erstreckten, in ihrer Machart aber mehr Ähnlichkeit mit gewachsenen Strukturen hatten, als mit erbauten Geräten und Apparaten. Der Weg führte sie unter einer hohen Decke und in einer weiten Spirale durch das gesamte Gebäude aufwärts. Hier war eine Technologie verborgen, die Charna unbekannt war. Ein Summen und Wispern drang aus den Maschinen, die sie barfuß und leise auf schneefeuchten Zehenspitzen passierte, sich seltsam deplatziert fühlend. Die Elemente sprachen nicht zu ihr, hier, an diesem fremden Ort.
Das Schweigen der Kräfte beunruhigte sie und sie eilte weiter.
Sie gelangte schließlich in einen Abschnitt, der gänzlich unbeleuchtet war und selbst ihre alles durchdringenden Augen konnten hier nichts sehen. Für eine Schrecksekunde ergriff sie ein Schwindelgefühl, ganz so, als ob die Schwerkraft einen Lidschlag lang nicht vorhanden war. Sie spürte instinktiv, dass der Korridor sie wie ein Portal oder eine Teleportation an einen fernen Ort versetzt hatte. An seinem Ende zeichnete sich jetzt einer schwache Lichtquelle ab, der sie sich mit großer Vorsicht näherte.
Sie gelangte an das Ende des Ganges, wo sich eine gigantische Halle mit umlaufenden Fenstern vor ihr erstreckte, die von Säulen gestützt wurde, die wie die Rippen eines gestrandeten Wals in die Höhe ragten. Die Decke des Raums war in Finsternis gehüllt, in der sie Rohrleitungen und Strukturen erkannte, ähnlich jenen des Gebäudes, von dem sie jetzt ganz genau wusste, dass sie es verlassen hatte.
Charna ging näher an
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