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Kabeljau und Kaviar

Kabeljau und Kaviar

Titel: Kabeljau und Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Winterkleidung
trug. Eigentlich war sie gar kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau in
mittleren Jahren, deren Gesicht gerötet war von der Kälte zahlreicher
Straßenecken an zahlreichen Weihnachtstagen und deren Lächeln nachsichtig
geworden war, wie es bei derartigen Menschen oft vorkommt, damit es nicht
vollends erlischt. Max erwiderte ihr Lächeln, als er ihr galant das Tambourin
reichte.
    »Haben Sie zufällig den Mann bemerkt,
der mich in Ihre Sammelbüchse gestoßen hat?« fragte er.
    »Ach so, das war’s also!« Sie
schüttelte versuchsweise ihr Tambourin, um zu sehen, ob es noch funktionierte.
»Ich habe mich schon gefragt, was Sie wohl zum Straucheln gebracht haben
könnte, Sie hatten einen so sicheren Schritt. Nein, tut mir leid, ich hab’
nicht besonders auf ihn geachtet. Ich habe mich mehr für Sie interessiert und
mich gefragt, wen Sie wohl verfolgten.«
    »War das so offensichtlich?«
    »Die meisten Leute hätten es wohl nicht
bemerkt, aber ich glaube, ich habe ein sehr geübtes Auge. Hier draußen auf den
Straßen müssen wir immer auf der Hut sein, wissen Sie, denn es gibt viele
verirrte Seelen, die sich manchmal recht unberechenbar verhalten. Wir würden
zwar lieber von allen Menschen nur das Beste glauben, aber wir müssen sie halt
nehmen, wie sie sind, nicht, wie wir sie gerne hätten. Daher legen wir auch
Maschendraht über unsere Sammelbüchsen«, fügte sie hinzu und drückte eine
Dollarnote, die zu entkommen versuchte, wieder nach unten.
    Max verstand den Wink und suchte in
seiner Tasche nach Kleingeld. »Ich bin ihm gefolgt, weil ich ihn für einen
Bekannten gehalten habe.«
    »Wie Sie meinen, Bruder. Mich geht es
nichts an.«
    »Wenn er derjenige ist, für den ich ihn
halte, habe ich ihn gestern abend in Bexhill in einem Zug kennengelernt. Hilft
das Ihrem Gedächtnis vielleicht ein wenig auf die Sprünge?«
    »Sie sind von der Polizei, nicht?
Wundert mich gar nicht. Ich habe mir schon gedacht, daß die Sache mit dem
russischen Komplott ziemlicher Unfug ist.«
    Sie dachte einen Augenblick nach,
schüttelte ihr Häubchen, hob ihre dickgepolsterten Schultern und versuchte mit
den Achseln zu zucken. »Ich würde Ihnen gerne behilflich sein, aber er war bloß
ein ganz gewöhnlicher Mann. Vielleicht so alt wie ich oder ein wenig älter,
glatt rasiert, helle Gesichtsfarbe, gut angezogen, aber nicht auffällig, sah
recht seriös aus. Ich hatte gehofft, er würde einen Dollar geben, aber er hat
mir deutlich gezeigt, daß ich für ihn gar nicht existiere. Vielleicht hat er
mich auch tatsächlich nicht gesehen. »Richte nicht, auf daß du nicht gerichtet
werdest!‹ Oh, und er trug eine dunkle Sonnenbrille, so eine kleine, runde, wie
sie die Hippies früher hatten. Das kam mir irgendwie ungewöhnlich vor an einem
Tag wie heute. Es ist doch gar nicht so hell hier draußen. Oh, vielen Dank!
Fröhliche Weihnachten!«
    Max sorgte dafür, daß der
zusammengefaltete Fünfdollarschein seinen Weg durch den Draht fand und sicher
bei den Münzen landete, die er bereits hineingeworfen hatte. »Ihnen auch, und
vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    Sein Opfer war natürlich unterdessen
längst über alle Berge. Es war eine effektvolle Abwehr gewesen, ihn gegen die
Frau mit der Geldbüchse zu stoßen, doch wie zum Teufel hatte es der Kerl
geschafft, ihm genau im richtigen Moment einen geschickt plazierten Stoß mit
dem Ellenbogen zu versetzen? Max hätte schwören können, daß er sich nicht
einmal umgedreht hatte, um herauszufinden, wer ihn verfolgte.
    Gleichwohl hätte er Max bereits bemerkt
haben können, als der ihn noch gar nicht gesehen hatte. Vom Fluß bis zum Corn
Hill stieg die Straße ziemlich steil an. Max hatte die Fußgängerbrücke benutzt,
um von der Westseite auf die Beacon-Hill-Seite zu wechseln, ehe er sich an den
Aufstieg gemacht hatte. Wenn sich der Mann nun umgedreht hatte, als Max gerade
die Stufen hinunterstieg, hätte er ihn leicht ausmachen können. Max wurde immer
sofort erkannt, obwohl er selbst nicht genau sagen konnte, woran das lag.
    Der Unbekannte hatte offenbar verflixt
scharfe Augen, doch ältere Menschen sind oft weitsichtig, und vielleicht hatte
die Sonnenbrille ihren Teil dazu beigetragen, falls sie beispielsweise
besondere, ärztlich verordnete Gläser hatte.
    Vielleicht verfügte der Mann auch über
ein gutes Gehör und hatte die raschen Schritte seines Verfolgers vernommen;
jedenfalls waren seine Reflexe ausgezeichnet. Der knappe Stoß in die Rippen
paßte hervorragend zu

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