Kabeljau und Kaviar
hätte sogar schwören können, daß er
dafür vollstes Verständnis hatte, doch dann hörte er, wie die Eingangstür
zuschlug, und bemerkte, wie Miss Moriston die Ohren spitzte.
»Ist da nicht gerade jemand gegangen?
Und ich dachte — oh.«
Ihr Erkerfenster ging zur Straße
hinaus. Max konnte einen Mann die Eingangsstufen hinuntergehen sehen. Er hielt
das Gesicht abgewandt, doch zwischen der heruntergezogenen Krempe seines
dunklen Filzhutes und dem hochgeschlagenen Kragen seines dunklen Wollmantels
war ein Teil seiner Sonnenbrille zu sehen. Max erkannte den Mantel. Es war
derselbe, den er den ganzen Weg von der Cambridge Street bis hierher verfolgt
hatte. Jetzt verstand er gar nichts mehr, also verabschiedete er sich rasch von
Miss Moriston und verließ das Haus.
Der Mann lief jetzt wieder die Joy
Street hinauf, bog zuerst in die Mount Vernon Street, dann in die Walnut Street
ein und kam schließlich die Chestnut Street wieder hinunter. Falls er bemerkt
hatte, daß ihm jemand folgte, ließ er es sich nicht anmerken. Zwar
beschleunigte er seine Schritte, als er die Chestnut Street hinunterging, doch
da die Straße steil abfiel, war es schwierig, dort langsam zu gehen, so daß Max
nicht wußte, ob er dem irgendeine Bedeutung zumessen sollte. Jedenfalls ging
der Mann zügig, aber keineswegs in Eile über die Charles Street in Richtung
Fluß, bis er ein Haus erreichte, das Max bekannt vorkam.
Hier hatte er erst gestern Marcia Whet,
ihre Tournüre und ihren ausgestopften Fasan abgeholt. Konnte der Mann Gerry
Whet sein, der gerade aus Nairobi zurückgekehrt war? Falls ja, was führte Mr.
Whet im Schilde, daß er sich aus Miss Moristons Haus geschlichen hatte? Dieser
Spaziergang wurde immer interessanter.
Auf diesem Teil des Hill gab es
elegante Häuser, und auch das der Whets war alles andere als bescheiden. Die
Gestalt, wer auch immer sie sein mochte, vermied den imposanten Vordereingang,
verschwand in einem Säulengang und entzog sich Max’ Blicken. In Ermangelung
einer besseren Idee ging dieser geradewegs zum Eingang und klingelte. Dasselbe
ältliche Hausmädchen, das gestern Marcias Cape gehalten hatte, öffnete ihm die
Tür.
»Ich hätte gern Mr. Whet gesprochen«,
eröffnete er ihr.
»Oh.« Das Hausmädchen verbrachte eine
geraume Zeit damit, ihn eingehend von Kopf bis Fuß durch ihre Dreistufenbrille
zu mustern, und gewährte ihm dann ein gnädiges Nicken. »Sie sind Mr. — eh — der
Herr, der Mrs. Whet zur Party begleitet hat.«
»Richtig. Jem Kellings Neffe Max.« Der
Mann mit den tausend angeheirateten Verwandten.
Wieder hatte er offenbar die richtige
Zauberformel aufgesagt. Jetzt lächelte die Dame sogar. »Oh, Mr. Jem. Er ist ein
guter Freund der Familie. Wie geht es seiner Hüfte?«
»Sie schmerzt. Ich komme gerade vom
Krankenhaus, wo ich ihn besucht habe. Sie können sich vorstellen, wie er dort
die Stimmung hebt.«
»Hält die Schwestern bestimmt ganz
schön auf Trab, wette ich. Kommen Sie rein, Mr. Max. Geben Sie mir doch Ihren
Mantel. Ich schaue mal nach, ob Mr. Whet schon auf ist. Woher haben Sie
übrigens gewußt, daß er zu Hause ist? Ich hatte selbst gar keine Ahnung, bis
ich heute morgen die Fensterläden aufmachen wollte und ihn schlafend in seinem
Bett fand. Ich hab’ es nicht übers Herz gebracht, ihn aufzuwecken. Ist das
nicht schrecklich mit Mrs. Whet? Ich bin froh, daß Sie derjenige sind, der es
ihm beibringt, und nicht ich.«
»Ihm was beibringt?« Max fühlte so
etwas wie Panik in sich aufsteigen. »Wie lautete denn die letzte Nachricht aus
dem Krankenhaus?«
»Daß sie immer noch in Lebensgefahr
schwebt und man alles unternimmt, um sie zu retten. Ich hatte gehofft, Sie
hätten vielleicht etwas Positiveres gehört.«
»Ich wünschte wirklich, es wäre so. Wie
lange ist es denn her, daß Sie bei Mr. Whet hereingeschaut haben?«
»Das war gegen halb zehn, um ehrlich zu
sein. Ich war heute morgen schrecklich spät dran. Ich bin nämlich so lange
aufgeblieben letzte Nacht, weil ich sehen wollte, ob sie noch irgend etwas
Neues über Mrs. Whet und die anderen in den Nachrichten bringen würden. Und
dann konnte ich nicht einschlafen, weil ich die ganze Zeit daran denken mußte.
Die Tolbathys und meine Herrschaft sind eng befreundet, wissen Sie. Sie kommen
oft her zu Besuch. Und Mr. Jem natürlich auch, aber das brauche ich Ihnen
sicher nicht zu sagen. Er ist große Klasse, wenn es darauf ankommt, Schwung in
eine Dinnerparty zu bringen. Und die Geschichten, die er immer erzählt!
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