Kabeljau und Kaviar
gar nicht finden
wollen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als ihnen einen Köder
hinzuwerfen, dem sie nicht widerstehen können. Wir könnten mit dem Colchicin
anfangen. Kennen Sie jemanden außer Wouter, der ein Mittel gegen Gicht
einnimmt? Wissen Sie, von wo er es bezieht? Kennen Sie einen Apotheker, der uns
darüber Auskunft geben könnte, wie Colchicin gewonnen wird? Verflixt, ich
sollte das eigentlich selbst wissen, schließlich habe ich lange genug in einem
Drugstore gearbeitet, als ich das College besuchte. Allerdings habe ich die
meiste Zeit nichts anderes als Bananensplits gemacht.«
Tolbathy schenkte Max den Anflug eines
schmerzlichen Lächelns. »Wenn Wouter hier wäre, würde er sagen, daß man in
diesem Fall logischerweise mit den Bananensplits anfangen sollte.«
»Und damit hätte er wohl auch recht.
Besitzen Sie ein Wörterbuch oder ein Lexikon?«
»Sicher. In der Bibliothek. Sie
brauchen nur nach unten zu gehen, der Raum rechts hinter der Treppe.«
»Vielen Dank.«
Max ging hinunter. Die Bibliothek war
ein stattlicher Raum mit hohen Wänden und muschelförmigen Bögen über den
zahlreichen Bücherregalen, antiken Globussen auf geschnitzten Sockeln aus
Walnußholz, Tischen mit lederüberzogenen Platten, auf denen riesige geöffnete
Folianten mit wundervollen Drucken von Lokomotiven aus der Zeit der alten Ironsides und der Best Friend of Charleston lagen; an den Wänden gab es
Stahlstiche von alten Bahnhöfen und Landkarten mit längst vergessenen
Eisenbahnstrecken. Ein großartiger Raum, in dem man den ganzen Tag herumstöbern
konnte, ein Vergnügen, das Max sich aus Zeitmangel leider verwehren mußte. Er
entdeckte eine große Webster-Enzyklopädie auf einem hölzernen Drehpult und
schritt zielstrebig darauf zu.
»Colchicin: giftiges Alkaloid, gewonnen aus Samen
und Knolle des Liliengewächses Colchicum autumnale. In der Medizin als
Gicht- und Rheumamittel eingesetzt, wird außerdem in der Zucht von Pflanzen,
Obst usw. benutzt.«
Dazu gab es eine detaillierte kleine
Zeichnung der Pflanze. Der Name ging möglicherweise auf die Landschaft Kolchis
zurück, die Heimat von Medea, die, wie das Nachschlagewerk Max freundlich
erinnerte — als ob er es nicht sowieso gewußt hätte — , eine Zauberin und
Giftmischerin aus der antiken Mythologie war. Colchicum, so erfuhr er weiter,
war auch bekannt unter dem Namen Herbstzeitlose, sah aus wie ein Krokus, blühte
jedoch nicht im Frühjahr, sondern, wie der Name schon sagte, im Herbst.
Bestimmt fand sich bei jedem verfluchten Gartenenthusiasten in Bexhill ein
Eimer voll Colchicinpulver und eine ganze Wiese mit Herbstzeitlosen. Max schlug
das Buch verärgert zu und ging wieder nach oben.
»Kennen Sie jemanden hier in der
Gegend, der Herbstzeitlose züchtet?« fragte er Tom Tolbathy.
»Herbstzeitlose? Wird Colchicin daraus
gewonnen?«
»So steht es in Ihrem Lexikon. Offenbar
handelt es sich um eine sehr verbreitete Pflanze.«
»Ich kenne mich leider in Botanik nicht
besonders gut aus. Hester könnte Ihnen sicher eher helfen. Oder Dork. Er weiß
alles über — oh Gott!«
»Verstehen Sie mich j e t z t?« wollte
Max wissen.
Es waren einfach zu viele
leidenschaftliche Gärtner in diesem Zug gewesen. Momentan kreisten Max’
Gedanken um Gerald Whet. Warum hatte Toms Busenfreund nicht die geringste
Reaktion gezeigt, als Max das Colchicin erwähnt hatte? Man mußte sich
schließlich nicht das Hirn zermartern, um von Colchicin auf Colchicum zu
kommen, vor allem dann nicht, wenn man ständig mit giftigen Pflanzen zu tun
hatte.
Tom Tolbathy spukten wohl ähnliche
Gedanken im Kopf herum. Er war in seine Kissen zurückgesunken und so blaß
geworden, daß Max Angst bekam.
»Soll ich das Hausmädchen rufen?«
fragte er.
»Nein, lassen Sie nur. Es ist alles in
Ordnung. Wahrscheinlich das Alter. Ich bin im August vierundsiebzig geworden.
Eine ganz schön lange Zeit; vielleicht zu lange. Bisher ist immer alles in
meinem Leben glattgegangen. Nie ist etwas wirklich Schlimmes passiert, sofern
man den Krieg ausnimmt, in dem Cousin Bigelow gefallen ist. Wir sind zusammen
aufgewachsen, Wouter, Biggie und ich. Und jetzt bin ich ganz allein übrig.«
»Sie haben doch Ihre Freunde.«
»Ja, wenigstens da ist mir mein Glück
treu geblieben. Jem und Gerry und die anderen Clubbrüder sind noch da. Biggie
wäre bestimmt auch einer von uns geworden, wenn er am Leben geblieben wäre.
Max, ich werde damit nicht fertig. Tun Sie, was Sie für richtig halten! Und
könnten Sie
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