Kabeljau und Kaviar
machte sich auf die Suche nach Wouters Zimmern.
Als er die stets unverschlossene Verbindungstür öffnete, hörte er ein Knurren.
Es stellte sich heraus, daß es von
Rollo kam.
»Schon gut«, versuchte ihn Max in
demselben Ton zu besänftigen, den er auch einem feindseligen Hund gegenüber
angeschlagen hätte. »Alles in Ordnung. Mr. Tolbathy hat mir erlaubt
herzukommen, um mich ein wenig umzusehen.«
Rollo sagte nichts, sondern machte nur
eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Max interpretierte dies als Zeichen der
Zustimmung und ging weiter.
Dies hier mußte Wouters Wohnzimmer
gewesen sein. Hester oder wer auch immer hatte den Raum mit viel Mühe und
Einfühlungsvermögen in den diskreten Brauntönen und grobgemusterten Stoffen
dekoriert, die Männer angeblich so schätzen. Wouter hatte die Behaglichkeit
durch eigene Akzente ergänzt.
Ein Skelett mit beweglichen Gelenken
ruhte auf dem Sofa, sittsam in ein rotes Nachthemd aus Flanell mit einem
Monogramm auf der Brust gehüllt, der Schädel war bequem auf ein zerknittertes
Satinkissen gebettet. Ein Topf mit einer Avocadopflanze, die über zwei Meter
maß, stand auf Rollschuhen. An den Zweigen hingen Schnüre mit vergoldeten
Erdnüssen. Normalerweise hätte Max sie für Weihnachtsdekoration gehalten, doch
jetzt, da er mit Wouters Denkweise ein wenig besser vertraut war, mußte er wohl
davon ausgehen, daß sie als kleine Snacks für durchreisende Eichhörnchen mit
anspruchsvollem Geschmack gedacht waren.
Der nächste Raum hatte wohl
ursprünglich als Schlafzimmer dienen sollen. Doch auch hier waren die
Bemühungen des Innenarchitekten vergeblich gewesen. Bett und Kommode waren zur
Seite geschoben worden, um Platz für eine Werkbank, eine elektrische Säge, eine
Drehbank und Unmengen von Werkzeug zu schaffen. Und zwischen den Bohrmaschinen
und Hämmern stand ein stattlicher grüner Drache mit leuchtendgelbem Bauch,
einem geschmackvollen orangefarbenen Schlips und Schuppen, die dezent in allen
Farben von Türkis bis Hellgrün schillerten.
Rollo hegte ganz offensichtlich
Onkelgefühle für diesen Drachen. Er drehte an einer Kurbel, um ihn Max
vorzuführen. Und tatsächlich, aus den Nüstern quoll Dampf, kleine Rauchwölkchen
kräuselten sich über dem Haupt, eine leuchtende Zunge schoß wie eine Flamme aus
dem scharlachrot eingefaßten Drachenmaul, Funken stoben, während die Ratsche
ein wundervoll rasselndes Gebrüll ertönen ließ.
Der Drache war auf rote Holzräder
montiert und konnte mittels einer Kordel gezogen werden. Rollo marschierte
damit durch den Raum, stolz wie ein Zweijähriger, der sein neues
Weihnachtsgeschenk präsentiert, während der Drache so überzeugend schnaubte,
rauchte und Funken sprühte, daß selbst die anspruchsvollsten jungen Herren in
Wooties Internat ihre helle Freude daran gehabt hätten.
»Isser nicht schön?« wollte Rollo wissen.
Max konnte natürlich nur zustimmen und
hatte damit Rollos Herz erobert. »Woll’n Sie auch die Züge sehen?«
»Unbedingt. Wo sind sie denn?«
»Hier lang.«
Was die Räumlichkeiten anging, hatte
Tom seinen Bruder wirklich großzügig bedacht. Hinter der Drachenhöhle gab es
noch einen weiteren Raum. Dieses Zimmer war bei weitem das größte und wurde von
einer riesigen, komplizierten elektrischen Eisenbahnanlage ganz und gar mit
Beschlag belegt.
Und Wouter hatte nichts ausgelassen. Er
hatte Berge mit Tunneln geschaffen, Flüsse mit Brücken darüber, anheimelnde,
malerische Dörfchen und große Städte, die von verblüffend naturgetreuen
eintönigen Vororten umgeben waren. Da war ein Hochhaus mit einem Fensterputzer,
der vor den Spiegelfenstern pendelte und auf seinem winzigen Gerüst von
Stockwerk zu Stockwerk hochgezogen oder heruntergelassen werden konnte. Es gab
ein Fast-Food-Restaurant mit winzigen Hühnern, die an der einen Seite mit
leeren Flügeln hineingingen und an der anderen Seite mit kleinen Papiertüten
wieder herauskamen. Max fühlte sich ein wenig unbehaglich bei dem Gedanken, was
Wouter sich wohl als Inhalt dieser Tüten vorgestellt hatte.
Es gab Lokomotivdepots, Rangierbahnhöfe
und Weichenstellanlagen in rauhen Mengen. Rollo begann, an einem immensen
Schaltpult alle möglichen Hebel zu betätigen. Lichter blinkten auf,
Pfeifsignale ertönten, Personen- und Güterzüge sausten über die Brücken und
durch die Tunnel, arbeiteten sich Berge hinauf und wieder hinunter in die
Täler. Waggons wurden angekoppelt und wieder abgekoppelt, hin- und herrangiert,
von anderen Lokomotiven
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