Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
mehr, nur noch das Ergebnis seiner Arbeit: orangefarbene Bojen, die in die Luft hüpften wie Wasserbälle und dann eine nach der anderen vom Schlauchboot eingesammelt wurden. Als er das Schiff erreicht hatte, bekam er von der holländischen Besatzung ein paar Kekse und ein Glas Orangensaft, dann sprang er wieder in die Fluten und schwamm den Kilometer zurück an Land. Als er mit großen Augen und nach Atem ringend den Strand wieder erreicht hatte, steckte er sich als Erstes eine Zigarette an.
Ich ging um das Strandcafé herum zum Revisionsschacht, wo die beiden englischen Techniker mit dem Kabel schwer beschäftigt waren. Sie waren von der Alcatel-Lucent-Niederlassung in London aus hierher gefahren, mit einem Kombi voller Werkzeug. Matt war groß, hatte einen rechteckigen Kopf, einen Kugelbauch und eine fröhliche Stimme. Er wohnte in Greenwich – »Home of time«, sang er: »Wo die Zeit zu Hause ist« – und hoffte, rechtzeitig zum Geburtstag seines Sohnes am Wochenende wieder dort zu sein. Mark war aus härterem Holz geschnitzt, mit einem Goldzahn und einem tätowierten Arm, auf den Popeye neidisch gewesen wäre. Er war schon sein ganzes Arbeitsleben lang für Alcatel in aller Welt unterwegs, von den Bermudas (»ein Traum«) über Kalifornien (»herrlich«) bis Singapur (»eine tolle Stadt, wenn man abends gern ein Bier trinken geht«). In ihren blauen Alcatel-Poloshirts und Cargohosen rückten die beiden dem Kabel mit Eisensägen zu Leibe. Es war mit zwei Lagen Stahlgeflecht umgeben, die entfernt werden mussten, bevor es im Revisionsschacht gespleißt werden konnte. Sie mussten ihre ganze Kraft aufwenden, um die Hülle abzuschälen, so als würden sie einen Hai häuten. Während sie daran arbeiteten, klopfte ein Fischer in Flanellhemd und Gummistiefeln an der Küchentür des Strandcafés. In der Hand hatte er eine stabile Tragetasche mit zwei glänzenden Doraden oder Meerbrassen, wie wir sie gestern im Fischeintopf gegessen hatten. Der Koch nahm sie ihm ab. Matt rief in sein Telefon: »Wir haben 25 im Schacht und 20 unten am Strand!« Er meinte, wie viele Meter »Spiel« sie noch hatten – genug zusätzliches Kabel im Revisionsschacht, um zu spleißen, und genug Kabel am Strand, falls die See mal etwas rauer wurde.
Als das Kabel bis zu den rötlichen Eingeweiden abgehäutet war, zogen Matt und Mark das Ende in das rote Zelt, um die Glasfasern miteinander zu verbinden. Matt stellte sich eine Tasse Tee auf die Werkbank, nahm ein Werkzeug, das aussah wie ein Korkenzieher, und begann, die innere Plastikhaut des Kabels abzuziehen, bis ein blitzblankes Kupferrohr sichtbar wurde. Darin befanden sich von einer weiteren schwarzen Kunststoffhülle ummantelte Kabel, in jedem davon wiederum eine farbige Gummihülle, und darin der eigentliche Glasfaserstrang. Mit jeder Schicht wurde die Arbeit heikler: Zuerst arbeitete Matt wie ein Metzger, dann wie ein Fischer, danach wie ein Souschef und schließlich, als er die einzelnen Glasfaserstränge mit zusammengekniffenen Lippen festhielt, wie ein Goldschmied. Als die acht Glasfasern endlich zum Vorschein kamen, mit einem Durchmesser von jeweils 125 Mikrometer, funkelten sie im Sonnenlicht. Damit sie völlig frei von Rückständen waren, streute er Babypuder in seine Hand und ließ die einzelnen Stränge hindurchgleiten wie einen Geigenbogen.
Dann machte er sich daran, sie mit ihrem jeweiligen küstenseitigen Gegenstück zu verschmelzen. Die acht Stränge, jeder in einer anderen Farbe, waren um die Werkbank geschlungen. Matt legte sie einen nach den anderen in eine Maschine, die wie ein Locher aussah. Auf einem kleinen Bildschirm konnte er die Ausrichtung der Stränge vergrößert sehen. Er sorgte dafür, dass sich die Enden genau berührten, wie die Hände von Gott und Adam im Fresko von Michelangelo. Dann drückte er einen Knopf und nahm mit abgespreiztem kleinem Finger einen Schluck Tee, während die Maschine die beiden Stränge verschmolz. Danach streifte er eine schützende Plastikhülle über den nunmehr durchgängigen Faserstrang und steckte ihn in eine Art Miniregal, wie man es für Angelzeug nutzt. Beim derzeitigen Stand der Technik kann ein solcher Glasfaserstrang auf einer unterseeischen Reise, die gerade einmal zwei Zehntelsekunden dauert, mehr als ein Terabit pro Sekunde übertragen.
Ich hatte die ganze Zeit vom Eingang des roten Zeltes aus zugeschaut, das als provisorische Werkstatt diente. Irgendwann gesellte sich Carrilho zu mir; auch er wollte Matt bei seiner
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