Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
kleines Küstendorf mit einem staubigen Wendeplatz, auf dem zahlreiche Hunde schlafend in der Sonne lagen. Carrilho setzte einen Schutzhelm auf, zog eine Warnweste an und stellte ein orangefarbenes Blinklicht auf das Dach des Kleinbusses. Zwei alte Männer in karierten Hemden schauten zur Abwechslung mal nicht das Meer an, sondern uns. Auf einem Rechteck von der Größe einer Stranddecke hatte jemand den Sand weggeschaufelt und einen Revisionsschacht freigelegt, unter dem sich eine betonierte Kammer auftat. Die Schachtabdeckung trug die Aufschrift »Tyco Communications«. Die Kammer war bereits vor zehn Jahren gebaut worden, im Zuge der Vorbereitungen für ein Kabel, das niemals eintraf, und war seitdem ungenutzt. Daneben hatte jemand ein rotes Zelt aufgeschlagen, das als provisorische Werkstatt diente.
Am nächsten Tag würde der Kabelleger »Peter Faber« – der für den küstennahen Einsatz gebaut war – mit drei Kilometer Kabel an Bord aus Lissabon herüberfahren. Ein Taucher würde mit dem Kabel an Land schwimmen, wo es im Schacht an einer schweren Stahlplatte befestigt werden würde. Die »Peter Faber« würde daraufhin ein paar Kilometer aufs Meer hinausfahren, nach Süden abbiegen und das lose Ende über Bord werfen. Einige Monate später würde dann ein sehr viel größeres Schiff eintreffen, das Kabel mit einem Haken aus dem Wasser fischen, es mit dem Ende des vierzehntausend Kilometer langen Kabels in seinem Rumpf verspleißen, und sich dann in den Süden aufmachen, stets einer genau berechneten Route folgend entlang unterseeischer Täler und um unsichtbare Klippen herum. Für die Menschen in Südafrika, Namibia, Angola, der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Kongo, Kamerun, Nigeria, Togo, Ghana, an der Elfenbeinküste, auf den Kapverdischen und den Kanarischen Inseln – so die aufeinanderfolgenden Landestationen des Kabels – würde dieses Fleckchen Erde hier bald der Punkt sein, an dem ihr Kontinent mit einem anderen verbunden ist. Das zumindest war der Plan für die kommenden Tage und Monate. Jetzt stand erst einmal Mittagessen auf dem Programm.
Direkt neben dem Revisionsschacht befand sich ein Strandcafé mit Coca-Cola-Sonnenschirmen auf der Terrasse. Drinnen hatte sich um einen langen Tisch das Anlandeteam versammelt. Mit ihren roten Overalls, wettergegerbten Gesichtern und windzerzausten Haaren sahen sie aus wie eine Piratenbande. Ich setzte mich neben einen Arbeiter, der ein Halstuch über seiner schwarzen Mähne und einen goldenen Ring im Ohr trug. Carrilho saß am anderen Ende des Tisches, zwischen dem runzligen Bauleiter Luis mit seinem gelben Schnurrbart und dem Vorarbeiter Antonio, der ein bisschen wie Tom Cruise aussah und mit seiner entschlossenen und aufgeregten Art an ein Kindergartenkind erinnerte. Sie skizzierten auf der weißen Papiertischdecke den Ablauf der für den nächsten Tag geplanten Anlandung, bis ein riesiger Fischeintopf aufgetragen wurde und für jeden ein Glas »Super Bock«, ein portugiesisches Lagerbier. Bis dahin war das Gespräch halb auf Portugiesisch, halb auf Spanisch geführt und unterbrochen worden, wenn es beim auf dem Fernseher laufenden Fußballspiel spannend wurde. Doch als es an der Zeit war, auf den Erfolg des Unternehmens anzustoßen, verwendeten sie den englischen Ausdruck: Auf das »Beach Landing«!
Der Tag der Anlandung dämmerte kalt und wolkenlos herauf, das Blau des Ozeans und des Himmels schienen sich einen Wettstreit zu liefern, welches das tiefere sei. Carrilho trug Schutzhelm und Weste, und er hatte einen jungen Mann von der Station mitgebracht, der eine große Kamera um den Hals trug. Carrilho pendelte zwischen Café und Terrasse hin und her, bestellte Espressi und suchte den Horizont ab. Das Anlandeteam kam von einem einige Kilometer weiter südlich gelegenen Hafen mit dem Schlauchboot die Küste heraufgefahren, sie hopsten über die Wellen wie eine Gruppe Marinesoldaten. Eine Kolonne angolanischer Tagelöhner hatte sich eingefunden, und Luis verteilte aus einem großen Karton rote Poloshirts. Zwei britische Techniker in Fleecepullovern und Cargohosen blieben ein wenig abseits und setzten sich an den Rand einer kleinen Sanddüne. Sie arbeiteten für Alcatel-Lucent, den Telekommunikationskonzern, der die Kabel hergestellt hatte und dem die Schiffe gehörten, die sie auf dem Meeresgrund verlegen sollten.
Unten am Wasser parkte ein großer Hyundai-Bagger, den Gelenkarm zu einem schwungvollen Gruß erhoben. Auf einem Schild hinter der
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