Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
mir. Dazu gehören etliche Gigabyte an Speicherplatz für meine E-Mails in Lower Manhattan (und jeden Tag werden es mehr), weitere 60 Gigabyte Backup-Speicherplatz in Virginia, die Spuren zahlloser Google-Suchanfragen, eine ganze Staffel der Kochserie Top Chef , die ich bei Apple heruntergeladen habe, Dutzende von über Netflix gestreamte Filme, jede Menge Bilder auf Facebook, mehr als tausend Twitter-Nachrichten und mehrere Hundert Blogeinträge. Wenn man das mit der Zahl der Menschen auf diesem Planeten multipliziert, schwirrt einem der Kopf von den Zahlen. Nach Angaben von Facebook aus dem Jahr 2011 laden die Nutzer monatlich sechs Milliarden Fotos hoch. 49 Google bestätigt mindestens eine Milliarde Suchanfragen pro Tag – wobei manche Schätzungen eher von drei Milliarden ausgehen. 50 All diese Daten müssen irgendwo verarbeitet und gespeichert werden. Wo also schlummern all die vielen Bytes?
Mich interessierten weniger solche statistischen Hochrechnungen als die Einzelheiten, jene Teile dieses ganzen Online-Mülls, die ich anfassen konnte. Ich wusste, dass die ursprünglich in Wandschränken untergebrachten Rechenzentren im Lauf der Zeit so stark gewachsen waren, dass sie irgendwann ganze Stockwerke belegten; dass aus einzelnen Stockwerken ganze Lagerhallen geworden waren, und aus Lagerhallen vielerorts, wie in The Dalles, ein ganzer Campus. Waren Rechenzentren früher meist nachträgliche Einbauten gewesen, so hatten sie mittlerweile eine eigene Architektur entwickelt; bald würden sie eine Aufgabe für Stadtplaner sein. Früher war ein Rechenzentrum so groß wie ein Wandschrank, heute glich es eher einem Dorf. Die Gründe waren mir klar, schon wegen meines eigenen, ständig wachsenden Appetits auf das Internet. Weniger einleuchtend fand ich die Standorte. Was hatten diese riesigen Gebäude dort oben auf dem Columbia-Plateau zu suchen?
Aufgrund der Effizienz, mit der das Internet Daten von A nach B schleust – und aufgrund des Erfolgs der Internetknoten als Drehkreuze, über die dieser Traffic abgewickelt wird –, ist es heute eine erstaunlich offene Frage, wo die Daten schlummern. Wenn wir über das Internet eine Information anfordern, muss diese Information irgendwo herkommen: Entweder von einem anderen Menschen oder von einem Ort, wo sie gespeichert ist. Allerdings ermöglicht es das Alltagswunder Internet, dass diese Daten theoretisch überall gespeichert sein können – und wir trotzdem jederzeit darauf zugreifen können. Daher herrscht bei kleineren Rechenzentren das Gesetz der Zweckmäßigkeit: Sie befinden sich oft in der Nähe des Besitzers oder der Kunden, oder derjenigen, die sie regelmäßig aufsuchen müssen, um an den Maschinen herumzudoktern. Doch je größer ein Rechenzentrum ist, desto schwieriger ist die Standortfrage zu beantworten. Obwohl es sich um so gigantische, fabrikartige Gebäude handelt, scheinen Rechenzentren von geographischen Bedingungen paradoxerweise ziemlich unabhängig zu sein. Und doch ballen sie sich an bestimmten Orten.
Bei der Standortwahl für ein Rechenzentrum spielen Dutzende von Überlegungen eine Rolle, aber letztlich geht es schlicht um die kostengünstigste Möglichkeit, eine Festplatte – besser gesagt 150 000 Festplatten – mit Strom zu versorgen und kühl zu halten. Die Architektur des Gebäudes, insbesondere die Frage, wie die Temperatur konstant gehalten wird, hat auf seine Effizienz einen enormen Einfluss. Die Entwickler von Rechenzentren liefern sich einen Wettstreit, wer das Gebäude mit der größten »Stromausbeute« bauen kann. Gemessen wird das mit dem sogenannten PUE -Wert (»Power Usage Effectiveness«), so etwas wie dem Benzinverbrauch bei Autos. Zu den wichtigsten äußeren Faktoren, die sich auf den PUE -Wert eines Gebäudes auswirken, zählt der Standort. So wie der Benzinverbrauch eines Autos auf dem flachen Land niedriger ist als in einer hügeligen Stadt, so arbeitet ein Rechenzentrum effizienter, wenn es Außenluft nutzen kann, um die vielen Festplatten und leistungsfähigen Computer zu kühlen. Und weil Rechenzentren überall gebaut werden können, kommt scheinbar kleinen Unterschieden eine große Bedeutung zu.
Die Standortsuche für ein Rechenzentrum ist so etwas wie die Akupunktur des physischen Internets: Der Ort wird mit der Präzision eines Nadelstichs festgelegt, um ganz bestimmte Vorzüge auszunutzen. Im Zuge des Wettlaufs zwischen konkurrierenden Unternehmen kristallisiert sich allmählich heraus, dass einige Orte besser
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