Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
sollte, begann die Bonneville Power Administration alsbald, die zusätzlichen Glasfaserleitungen zu vermieten. Es war ein großflächiges, robustes Kommunikationssystem mit hohen Kapazitäten, das eine ganze Region abdeckte und auf seinem Logenplatz hoch über dem Boden vor Baggerschaufeln auf Irrwegen sicher war – für jeden Entwickler von Rechenzentren ein echter Leckerbissen.
Microsoft zapfte dieses Netz von Quincy aus an, einem Städtchen nördlich von The Dalles im Bundesstaat Washington. »Für uns war das der grünste Punkt in den ganzen USA «, sagt Manos, und spricht dabei nicht von Bäumen oder ökologischen Überlegungen, sondern von seiner Wärmekarte. Genau wie The Dalles lag Quincy unweit des Columbia River, eingebettet in das Strom- und Glasfasernetz der Bonneville Power Administration. Und natürlich blieb Microsoft nicht lange allein. Kaum hatte das Unternehmen mit einem Rechenzentrum mit einer Fläche von über 44 000 Quadratmetern und einer Leistung von 48 Megawatt den Anfang gemacht, da tauchten die »Burger-King-Leute« auf, wie Manos sie nennt: Unternehmen, die warten, bis der Marktführer an einem Ort baut, und dann unmittelbar nebenan bauen. In Quincy waren das Firmen wie Yahoo!, Ask.com und der Rechenzentrums-Spezialist Sabey. »Innerhalb von eineinhalb Jahren wurden in einem Ort, der für den Anbau von Grüner Minze, Bohnen und Kartoffeln bekannt ist, plötzlich massenweise Rechenzentren im Wert von fast drei Milliarden Dollar aus dem Boden gestampft«, so Manos. »Wenn man heute durch die Stadt fährt, sieht man zunächst weit und breit nur riesige, endlose Felder, und dann ragen zwischen den Maispflanzen plötzlich diese gigantischen Monumente des Internetzeitalters auf.« In der Zwischenzeit machte sich etwas weiter südlich in The Dalles einer der größten Konkurrenten von Microsoft daran, sein eigenes Kapitel Rechenzentrumsgeschichte zu schreiben.
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The Dalles war seit Jahrhunderten ein wichtiger Kreuzungspunkt gewesen, doch um die Jahrtausendwende auf dem Höhepunkt des Breitband-Booms drohte das Internet das Städtchen links liegen zu lassen. Trotz der großen Internetbackbones, die entlang der Eisenbahngleise mitten durch The Dalles verliefen, und trotz des gewaltigen Netzes der Bonneville Power Administration gab es für die örtlichen Firmen und Haushalte keine schnellen Internetverbindungen. Und nach Auskunft des lokalen Anbieters Sprint würde die Stadt noch weitere fünf bis zehn Jahre darauf warten müssen. »Wir kamen uns vor wie eine Stadt, die direkt an einer Autobahn liegt, aber keine eigene Auffahrt hat«, beschrieb es mir der verschrumpelte Stadtdirektor Nolan Young in seinem renovierungsbedürftigen Büro. Es lag im Jahrhundertwende-Rathaus von The Dalles und war großzügig bemessen, aber wie das Domizil eines Highschool-Schulleiters von billigen Neonlampen erhellt. Youngs leise Stimme hatte etwas Hobbitartiges. Beim Anblick meines Aufnahmegeräts hatte er nur die Schultern gezuckt. Wie alle altgedienten Politiker war er an neugierige Journalisten gewöhnt – zumal hier in jüngster Zeit sehr viel mehr vorbeigekommen waren, als man in einer solchen Kleinstadt erwarten würde.
The Dalles war vom Zusammenbruch der Industrie im Nordwesten der USA schwer getroffen worden, und jetzt sollte es auch noch vom Internet abgehängt werden. »Da haben wir gesagt: ›Das geht uns nicht schnell genug! Dann kümmern wir uns eben selber drum‹«, erinnert sich Young. Es war eine Überzeugungs- und Verzweiflungstat zugleich, der ultimative Ausdruck der Hoffnung, dass man nur die Infrastruktur schaffen müsse, »dann kommen sie schon«. Im Jahr 2002 gründete die Stadt den unabhängigen Provider Q-Life (»Quality Life Broadband Network«), dessen erste Kunden die Krankenhäuser und Schulen des Ortes waren. Man machte sich daran, eine 27 Kilometer lange Glasfaserschleife rings um The Dalles zu bauen, vom Rathaus bis zum Netzknoten am Stadtrand, im Umspannwerk »Big Eddy« der Bonneville Power Administration. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 1,8 Millionen Dollar, die zur Hälfte durch staatliche Zuschüsse aus Portland und Washington gedeckt waren. Die andere Hälfte wurde über einen Kredit finanziert; die Stadt kostete das Ganze keinen Cent.
The Dalles war ein typischer Fall von einer Stadt auf der falschen Seite der »digitalen Kluft«, wie Politiker die mangelnde Verfügbarkeit von Breitbandanschlüssen in ärmeren Gemeinden nennen. Der Aufbau der großen, nationalen
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