Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
und sorgt unter anderem dafür, dass Sie per Stream die neueste Episode von Survivor oder das heutige College-Basketballspiel anschauen können. (Dabei interessiert er sich selbst gar nicht für Basketball.) Doch in den neunziger Jahren wachte er über den weltweit wichtigsten Knotenpunkt des Internets, der sich, so unglaublich das klingt, in der Garage eines Bürogebäudes in einer Vorstadt von Washington befand. Es war eine aufregende Phase in der Evolution des Internets – zumindest eine Zeit lang. Am Ende geriet das Ganze völlig außer Kontrolle.
Wir setzten uns zwischen zwei junge Kerle, die, den Kopf in der Cloud, wie wild auf ihre Laptops einhackten. Unsere Unterhaltung muss sich seltsam für sie angehört haben, sprachen wir doch über eine graue Vorzeit. Nach seinem Abschluss an der Informatikfakultät in Berkeley hatte Feldman 1993 bei einer jungen Netzwerkfirma mit dem Namen MFS Datanet angeheuert. Das Unternehmen hatte anfangs Glasfaserkabel in den Kohletunneln von Chicago verlegt, sich dann aber auf die Einrichtung privater Netzwerke spezialisiert, die verschiedene Bürostandorte einer Firma miteinander verbanden, meist unter Verwendung bestehender Telefonleitungen. MFS war kein Internetanbieter, sondern unterstützte Unternehmen bei der Einrichtung eines Intranets. Dabei hatte es sich jedoch zu einem Spezialisten für Verbindungen von einem Ende einer Stadt zum anderen entwickelt – und genau daran war die Handvoll Unternehmen, die Internetzugänge anboten, interessiert. Die Internetprovider hatten nämlich ein Problem. Das NSFNET , damals de facto das Backbone des Internets, wurde von der National Science Foundation betrieben, und streng genommen durften kommerzielle Firmen es gar nicht nutzen, da es nach dem Grundsatz der »angemessenen Nutzung« theoretisch ausschließlich Wissenschaft und Bildung vorbehalten war. Um weiter zu wachsen, mussten die kommerziellen Internetanbieter eine Möglichkeit finden, die staatliche Datenautobahn zu umgehen und den Datenverkehr über ihre eigenen, privaten Straßen abzuwickeln. Dazu mussten sie sich miteinander vernetzen – im ureigensten Sinn des Wortes. Blieb nur die Frage wo.
Die Branche boomte, und jetzt drohte das ganze Unterfangen daran zu scheitern, dass die richtige Immobilie fehlte. Wo konnten sich die Internetprovider vernetzen? Ganz konkret hieß das: Wo gab es einen günstigen Raum mit reichlich Strom, in dem die Ingenieure ein Kabel vom Router des einen Netzwerks zum Router des anderen ziehen konnten?
In den Vorstädten westlich von Washington, im Bundesstaat Virginia, hatten viele kommerzielle Internetprovider der ersten Stunde wichtige Standorte. Das lag hauptsächlich an der Konzentration von Rüstungs- und Hightech-Firmen in dieser Gegend. »Es war ein technologisches Zentrum«, so Feldman. Eine Zeit lang vernetzten einige Internetanbieter ihre Netzwerke in einem Gebäude des Providers »Sprint« im Nordwesten von Washington, aber das war keine wirklich gute Lösung. Bei Sprint war man nicht gerade angetan von der Idee, dass sich die Konkurrenz im eigenen Haus breitmachte (zumal man kein Modell zur Hand hatte, die anderen Firmen entsprechend zur Kasse zu bitten). Und für die anderen Internetanbieter – wie UUNET , PSI oder Netcom – war es eine teure Lösung, weil sie für teures Geld Datenleitungen zu ihren eigenen Büros oder ihrem nächstgelegenen Einwahlknoten mieten mussten.
MFS hatte eine Lösung: Man bot an, die eigenen Geschäftsräume in einen Netzknoten umzuwandeln. Das Unternehmen besaß bereits eine Vielzahl lokaler Datenleitungen, über die es die einzelnen Internetprovider anbinden konnte – wie Tänzer um einen Maibaum. MF S musste also nur noch einen »Switch« installieren. Das Gerät vom Typ Catalyst 1200 wurde genutzt, um den Datenverkehr zwischen den Netzwerken abzuwickeln. Das Ergebnis war keine Nebenstraße, sondern ein ausgewachsener Kreisverkehr. Jedes Netzwerk mit einem Anschluss an diesen Netzknoten erhielt direkten und unmittelbaren Zugang zu allen anderen angeschlossenen Netzwerken, ohne dass dabei irgendwelche Autobahngebühren anfielen. Damit der Plan eine Chance hatte, mussten sich jedoch eine Handvoll Internetanbieter gleichzeitig zum Mitmachen entschließen – sonst würde es ein Kreisverkehr im Nirgendwo sein. Die Entscheidung fiel 1992 bei einem Mittagessen in der Tortilla Factory in Herndon, Virginia. Am Tisch saßen Bob Collet, der Chef von Sprint, Marty Schoffstall, der Mitbegründer von PSI ,
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