Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Netzwerkingenieure mussten jetzt auch die Frage im Blick haben, wie verschiedene Netzwerke miteinander interagieren können.« Das ARPANET war kein abgeschirmter Garten mit einem offiziellen, staatlichen Verzeichnis der Teilnehmer mehr. Es war jetzt ein Netzwerk unter vielen, und all diese Netzwerke waren zu einem »Internetzwerk« zusammengeschlossen.
Die Einführung des TCP / IP -Standards am 1. Januar 1983 hat die dezentrale Struktur des Internets dauerhaft festgeschrieben und dafür gesorgt, dass es bis heute keine zentrale Stelle gibt, die es kontrolliert. Jedes Netzwerk kann unabhängig oder »autonom« agieren, weil TCP / IP den Wortschatz zur Verfügung stellt, um mit anderen Netzwerken zu interagieren . Das ist die zugrunde liegende Weltanschauung des Internets, so Tim Wu, Autor und Juraprofessor an der Columbia University , und sie weist unverkennbare Parallelen zu anderen dezentral organisierten Systemen auf, nicht zuletzt zur föderalen Struktur der Vereinigten Staaten. Weil das frühe Internet die bereits bestehenden Kabel des Telefonnetzes nutzte, waren seine Gründerväter gezwungen, »ein Protokoll zu entwickeln, das der Tatsache Rechnung trug, dass sie es mit vielen Netzwerken zu tun hatten, auf die sie nur begrenzt Einfluss nehmen konnten«, so Wu. Es war »ein System, das Unterschiede tolerierte – ein System, das die Autonomie der einzelnen Mitglieder des Netzwerks anerkannte und akzeptierte«. 17
Diese Autonomie ergab sich zwar aus der Infrastruktur, die das Internet vorfand, doch bald entwickelte sie sich zum entscheidenden Prinzip, das wiederum der vom Internet geschaffenen Infrastruktur seinen Stempel aufdrückte. Winston Churchill sagte einmal über Architektur: »Erst formen wir unsere Gebäude, 18 dann formen unsere Gebäude uns«, und dasselbe gilt auch für das Internet. Als der TCP / IP -Standard etabliert war und in immer kürzeren Abständen neue, unabhängige Netzwerke aus dem Boden schossen, wuchs das Internet physisch, aber keineswegs planvoll. Es entwickelte sich eher zufällig, wie eine Stadt; seine flexible Struktur ermöglichte ein spontanes, organisches Wachstum. Die Geographie bzw. Architektur des Internets wurde nicht in einem zentralen Büro von AT & T -Ingenieuren ausgedacht – wie einst das Telefonnetz –, sondern sie war das Ergebnis des unabhängigen Handelns von Hunderten und später Tausenden von Netzwerken.
Die Umstellung auf TCP / IP war die Geburtsstunde des Internets, wie wir es heute kennen, und der Startschuss zu einer erstaunlichen Wachstumsphase. Bestand das Internet noch 1982 aus lediglich 15 »autonomen Systemen«, die über TCP / IP kommunizierten, so waren es 1986 bereits mehr als 400. (Im Jahr 2011 waren es mehr als 35 000.) Noch rasanter stieg die Anzahl der über diese Netzwerke miteinander verbundenen Computer. Im Herbst 1985 gab es 2000 Computer mit Internetzugang; Ende 1987 waren es 30 000, und Ende 1989 bereits 159 000. (2011 belief sich die Zahl der Internetnutzer auf 2 Milliarden, von denen viele mehr als ein internetfähiges Gerät besaßen.) Nachdem das Internet fast 20 Jahre lang eine Universitätsstadt namens ARPANET gewesen war, reifte es nun allmählich zur Metropole heran. Konnte man sich zuvor jeden Router noch als Kloster auf einem abgeschiedenen Berg vorstellen, so begannen sie sich nun aufgrund der unglaublichen Zunahme der Anzahl der Rechner an bestimmten Orten zu konzentrieren und kleine Dörfer zu bilden. Einige dieser Dörfer ließen sogar die vage Andeutung einer Skyline erkennen. Für mich ist das der aufregendste Moment in dieser Anfangszeit: Das Internet nahm konkrete Formen an.
Gegen Ende der achtziger Jahre machte sich eine Handvoll Unternehmen daran, eigene Datenautobahnen oder »Backbones« und städtische Straßennetze oder »Metro-Netze« aufzubauen. Wenn Sie jetzt allerdings Bagger vor Augen haben, die halb Pennsylvania aufgraben und Kabel verlegen, dann liegen Sie falsch! Die rollten noch früh genug an. Die ersten Fern- und Regionalnetze nutzten nach wie vor die bestehenden Telefonleitungen, wobei an beiden Enden spezielles Gerät installiert wurde. Anfang der neunziger Jahre war das Rinnsal zu einem veritablen Strom angewachsen. Firmen wie MC I , PSI , UUN et, MFS und Sprint warben immer mehr Geld von Investoren ein – und hoben ihre eigenen Gräben aus, in denen sie die neue Technologie der Glasfaserleitung verlegten, die in den achtziger Jahren kommerzialisiert worden war. Das Netzwerk aus Netzwerken begann
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