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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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sich eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Es machte sich daran, Kolonien an Schlüsselstellen auf der ganzen Welt zu gründen – jene Orte, wo es noch heute prominent vertreten ist: in den Vorstädten Virginias und dem kalifornischen Silicon Valley, in den Londoner Docklands, in Amsterdam und Frankfurt sowie im Stadtteil Otemachi im Zentrum von Tokio. Das Internet hatte sich jetzt so weit ausgebreitet, dass es mit bloßem Auge zu erkennen, eine ganz eigene, reale Landschaft war. Was man in den ersten zwanzig Jahren der Geschichte des Internets leicht als halb fertiges Provisorium abtun konnte – Telefonkästen und ungenutzte Seminarräume –, hatte eine unverwechselbare Gestalt angenommen. Bis Mitte der neunziger Jahre trat der Strom über die Ufer, und eine Bauwelle überflutete das ganze Land. Der Ausbau des Breitbandnetzes wurde zu einer der berüchtigtsten Spekulationsblasen in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Doch so überhitzt und ökonomisch destruktiv diese Investitionen auch waren – durch sie entstand das Internet, das wir heute nutzen.
    In meinem letzten Jahr an der Highschool, 1994, verbrachte ich viele Stunden am Familien-Mac und blockierte endlos die Telefonleitung, während ich mich in den Internetforen und Chatrooms von »America Online« ( AOL ) herumtrieb. Dann brachte mein Vater irgendwann in jenem Winter eine kleine 3,5 Zoll-Diskette mit nach Hause, auf der ein neues Programm namens »Mosaic« gespeichert war – der erste Webbrowser. Eines sonnigen Sonntagmorgens saß ich, die Physikhausaufgabe beiseitegeschoben, neben meinem Vater am Esszimmertisch, zu dem quer durchs Zimmer ein langes Telefonkabel gespannt war, und lauschte, bis das Modem endlich kreischend eine Verbindung zu einem weit entfernten Computer signalisierte. Meine Mutter warf uns über die Zeitung hinweg einen missbilligenden Blick zu. Auf dem Bildschirm tauchte nicht das America-Online-Menü mit seiner kurzen Liste an Auswahlmöglichkeiten auf, sondern eine leere »Adressleiste«, in der ein Cursor blinkte – der Ausgangspunkt jeder Reise ins Internet.
    Doch wo sollte es hingehen? Zum damaligen Zeitpunkt waren die Möglichkeiten begrenzt. Nur wenige Organisationen hatten Websites – Universitäten, eine Handvoll Computerfirmen oder der staatliche Wetterdienst. Und woher sollte man wissen, wie sie zu finden waren? Es gab weder Google noch Yahoo!, weder MSN noch Ask Jeeves. Anders als im eng begrenzten Reich von AOL , anders als bei jedem anderen Programm, das ich bis dahin verwendet hatte, schien mir hier die Welt offen zu stehen. Es war ein ganz eigentümliches Gefühl: Als wäre man auf Reisen. Ich war mit meiner Begeisterung nicht allein. Für das Internet brach eine aufregende Zeit an. Netscape brachte seinen Webbrowser im Oktober auf den Markt, während Microsoft die Werbetrommeln für seinen »Internet Explorer« rührte. Das Internet schickte sich an, endgültig ein Massenphänomen zu werden. Der Durchbruch stand unmittelbar bevor.
    Aber was hieß das eigentlich? Der Boom musste die bestehende Infrastruktur des Internets an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen. Wer bewahrte es vor dem Zusammenbruch? Wie breitete es sich weiter aus? Und wohin? Ich kannte die Geschichten aus der Zeit des Dotcom-Booms, darüber, wie Jim Clark und Marc Andreessen Netscape gründeten, und wie Bill Gates darum kämpfte, dass der Internet Explorer integraler Bestandteil des Betriebssystems Windows blieb. Aber wie stand es um die Netzwerke selbst, um ihre Knotenpunkte? Wen konnte man in einer Branche, die seit jeher auf das Neueste vom Neuesten fixiert ist, noch nach diesen alten Geschichten fragen?
    Ich flog noch einmal nach Kalifornien – um eine Geschichte zu hören, die in Virginia spielte.
    * * *
    An einem typischen feucht-grauen Tag in San Francisco traf ich mich mit dem Netzwerkingenieur Steve Feldman. Das Café, in dem wir uns verabredet hatten, lag ein paar Straßen von seinem Büro entfernt, inmitten einer Ansammlung von Internetfirmen südlich der Market Street. Mit seiner khakifarbenen Hose, den festen braunen Schuhen und dem mächtigen Bart sah er aus wie ein Mathelehrer. Das Schlüsselband um seinen Hals, an dem sein Namensschild baumelte, war mit der Aufschrift NANOG bestickt, für North American Network Operators’ Group – der exklusiven Vereinigung von Ingenieuren, die die größten Netzwerke des Internets betreuen und dessen Vorstand Feldman vorsitzt. Derzeit managt er das Datennetzwerk von CBS Interactive

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