Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
bereits bestehenden Knotens an die Transatlantikkabel, die an der Küste von New Jersey anlandeten: Er war das Tor zu Europa.
Die Einrichtung dieser Netzwerkzugangspunkte markierte zugleich eine wichtige philosophische Zäsur, die für die physische Struktur nicht folgenlos blieb. In deutlicher Abkehr von seinen Wurzeln war das Internet fortan kein aus gleichberechtigten Knotenpunkten aufgebautes Netz mehr, sondern auf Gedeih und Verderb von einer Handvoll Zentren abhängig. »Die im Jahr 1995 durchgeführte Neugestaltung der räumlichen Struktur des Internets«, so der Stadttheoretiker Anthony Townsend, »war der Kulminationspunkt eines langfristigen Trends, der vom Idealbild des dezentralen Netzwerks wegführte, wie es noch [den Pionieren] in den 1960er Jahren vorschwebte.« 21 Als die Zahl der Netzwerke zunahm, konnte ihre Unabhängigkeit am besten dadurch sichergestellt werden, dass man zentrale Netzknoten schuf.
Die Einfädelspur, für die Feldman zuständig war, entwickelte sich jedoch zusehends zur Staufalle. Schon 1996 war MAE -East völlig überfüllt mit stotternden, blinkenden Maschinen, und drohte – so gewinnbringend das Ganze auch war – am eigenen Wachstum zu ersticken. Das ursprüngliche Konzept hatte vorgesehen, dass jedes Netzwerk seinen eigenen Router betrieb und über eigene Datenleitungen mit MAE -East verbunden war. Ein Gerät mit dem wohlklingenden Namen »Fibermux Magnum« sollte die Funktion der Konservendose am einen Ende eines Schnurtelefons übernehmen und die eingehenden Signale in eine Form bringen, die der Router von MAE -East verstand. Aber wie man sich denken kann, brauchen Fibermux Magnums Platz, und bald wurde es eng in den Räumen im 4. Stock des Boone Boulevard Nr. 8100, die MAE -East beherbergten – ja, die sozusagen MAE -East waren . Die Lage verschärfte sich weiter, als die Netzbetreiber auf den Trichter kamen, dass die Datenübertragung schneller funktionierte, wenn sie sich den Fibermux sparten, gleich ihre eigenen Router in den MAE -East mitbrachten und ihn damit praktisch zu ihrem technischen Büro machten. Noch voller wurde es, als die Netzbetreiber feststellten, dass die Datenübertragung noch schneller wurde, wenn sie auch noch ihre Server hier unterstellten. Damit war MAE -East keine reine Durchgangsstation für Daten mehr, sondern immer häufiger der Ort, wo sie gespeichert waren. Die Kunden freuten sich, dass Internetseiten sich schneller aufbauten, und die Betreiber freuten sich, weil ihre Kosten sanken. MAE -East jedoch verwandelte sich durch diese Veränderungen von einer Kreuzung in ein Lager.
Feldman musste einen Weg finden zu expandieren. Da der Eigentümer des Boone Boulevard Nr. 8100 mit seinem stromfressenden Mieter allmählich die Geduld verlor, zog der Apparat samt seiner zahllosen Tentakel alsbald in einen mit Rigipsplatten abgetrennten Bereich der Parkgarage im Keller des gegenüberliegenden Gebäudes um, in die Gallows Road Nr. 1919. An den nackten weißen Wänden waren ringsum Klimaanlagen angebracht, in unmittelbarer Nachbarschaft der dort abgestellten Autos. An der Tür hing ein schlichtes Schild aus dem nächsten Baumarkt mit der Aufschrift »Zutritt nur für Befugte«. Die unangefochtene Hauptstadt des Internets nahm sich ausgesprochen schlicht aus; man hätte hinter dieser Tür vielleicht Bohnermaschinen und ein Vorratslager für Toilettenpapier vermutet, aber nicht das Rückgrat eines weltumspannenden Informationsnetzes. Dass MAE -East in einer Parkgarage untergebracht war, klingt vermutlich wie eine Geschichte aus einem Agentenfilm, in dem sich in einem schummrigen Gang hinter einer unscheinbaren Tür ein riesiges, lichtdurchflutetes Hightechlabor verbirgt. Nur dass sich dieses Hightechlabor bei näherer Betrachtung als Bruchbude entpuppte.
Steve Feldman trieb das alles zur Verzweiflung. Wenn er nicht gerade neues Equipment auswählte und einbaute, die Verbindungen zwischen den einzelnen Netzwerken überwachte und versuchte, es allen recht zu machen, war er voll und ganz damit beschäftigt, sich ständig zu entschuldigen. Der Datendurchsatz hatte sich mit jedem Jahr verdoppelt, sodass die Router einfach nicht Schritt halten konnten, vom Gebäude ganz zu schweigen. Es herrschte Dauerstau im Internet. Bei jedem Treffen der North American Network Operators‹ Group musste Feldman sich vor seine Kollegen hinstellen und erklären, warum das Drehkreuz des Internets, sein Drehkreuz, ständig verstopft war. Sie machten es ihm nicht leicht. »Die
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