Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
sowie Rick Adams, der Gründer von UUNET (der später beim Börsengang des Unternehmens ein Vermögen machen sollte). Jedes dieser Netzwerke war unabhängig, aber sie wussten nur allzu gut, dass sie ohne einander nutzlos waren. Noch war das Internet etwas für Liebhaber – für eine exzentrische Minderheit, die überwiegend aus Leuten bestand, die das Internet im Rahmen ihres Studiums kennengelernt hatten und es weiter nutzen wollten. (Über den prozentualen Anteil der Internetnutzer in den USA gibt es vor 1997 nicht einmal Zahlen.) Aber der Trend ging eindeutig nach oben. Im Interesse des Internets – ja, wenn es überhaupt ein funktionierendes Internet jenseits der Universitäten geben sollte – mussten die Netzwerke an einem Strang ziehen. MFS nannte den neuen Netzknoten einen »Metropolitan Area Exchange«. Sein Spitzname war nicht nur eine Anspielung auf die Schauspielerin Mae West, sondern auch ein Hinweis auf den Plan, mehrere solche »Regionalknoten« im ganzen Land einzurichten; er lautete: » MAE -East«.
Der Erfolg war durchschlagend. » MAE -East war so erfolgreich, dass die Technik mit dem Wachstum nicht Schritt halten konnte und wir mit der Nachrüstung nicht hinterherkamen«, erinnert sich Feldman. Wurde ein neuer Internetanbieter gegründet, so wählten sich seine Kunden meist mithilfe eines Modems über eine ganz normale Telefonleitung ein. Aufgabe des Providers war es, eine Verbindung zum Rest des Internets herzustellen (wie Jon Auer in Milwaukee). Und eine Zeit lang war MAE -East der Ort, wo das passierte. »Wenn man an MA E -East angebunden war, stand einem das gesamte Internet offen«, so Feldman. »Es war de facto der Weg ins Internetgeschäft.« Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich MAE -East zu einem Knotenpunkt, über den sage und schreibe die Hälfte des weltweiten Internettraffics abgewickelt wurde. Eine E-Mail auf dem Weg von London nach Paris kam höchstwahrscheinlich in MAE -East vorbei, und die Suchanfrage eines Physikers in Tokio, der eine Website in Stockholm aufrufen wollte, landete ebenfalls zunächst hier – in Tysons Corner, Virginia, genauer gesagt im 4. Stock des Boone Boulevard Nr. 8100.
Es war eine ominöse Adresse. Denn die Kreuzung von Leesburg Pike und Chain Bridge Road, der Knotenpunkt der digitalen Welt, lag auffällig nahe am amerikanischen Spionagezentrum – mit der Folge, dass MAE -East bis heute von einem Nebel des Geheimnisvollen, des Verdächtigen und der Verschwörungstheorien umgeben ist.
150 Meter über dem Meeresspiegel liegend, ist Tysons Corner einer der höchsten Punkte im Fairfax County. Während des Amerikanischen Bürgerkrieges machte sich die Unionsarmee den guten Ausblick auf Washington im Osten und die Blue Ridge Mountains im Westen zunutze und errichtete hier aus Holz, das von nahe gelegenen Farmen stammte, einen Signalturm. Einhundert Jahre später, in der Anfangsphase des Kalten Krieges, errichtete die US -Armee an derselben Stelle und aus denselben Gründen einen Funkturm: zur Übermittlung von Botschaften zwischen der Hauptstadt und weit entfernten Militärposten. Noch heute steht hier ein Militärturm, ein rot-weißes Stahlskelett, das eine viel befahrene Vorstadtkreuzung überragt und von einem Schutzzaun umgeben ist. Ein Schild verbietet in respekteinflößenden Worten jegliches Fotografieren. Zur Rätselhaftigkeit dieses Ortes trägt auch bei, dass Bastler mit ihren Kurzwellenradios den Turm als »Zahlensender« ausgemacht haben – als Quelle von Radiosignalen, die aus einer endlosen Abfolge vorgelesener Ziffern bestehen. Glaubt man den professionellen Spionage-Exegeten, schalten Agenten in aller Welt zu bestimmten Zeiten ihr Radio ein, um verschlüsselte Kommuniqués aus dem Hauptquartier zu empfangen. Laut Mark Stout, einem Historiker am International Spy Museum in Washington, ist es unmöglich, die Einweg-Codes dieses Systems zu entschlüsseln: »Kryptoanalytisch haben Sie nicht den Hauch einer Chance, einen solchen Einmalschlüssel zu knacken.«
Was die Spionageabwehr betrifft, so dürfte der Rest von Tysons Corner ähnliche Herausforderungen bereithalten. MAE -East gehört der Vergangenheit an – besser gesagt: die Netzwerktechnik, die heute noch hier steht, ist kein wichtiges Zentrum des Internets mehr –, aber die Nachbarschaft hat sich kaum verändert. Man kann eine Runde auf den Parkplätzen drehen, doch die Gebäude selbst sehen mit ihren geschlossenen Glasfassaden aus wie versiegelt, als sei es das Ziel der Architekten
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