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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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täglich die aktuellen Statistiken zum Datenverkehr verfolgt, ist das fast wie bei einem Pferderennen: Mal zieht der eine Knoten, angefeuert von einer unsichtbaren Zuschauermenge, einige Wochen davon, dann wird er von einem anderen eingeholt. Ich habe die neuesten Entwicklungen und Trends monatelang verfolgt und Netzwerktechniker und Branchenbeobachter befragt, welcher Internetknoten eigentlich der wichtigste sei. »Frankfurt ist gigantisch«, schwärmte mir Alan Mauldin von TeleGeography über den DE - CIX vor. »Einfach unglaublich, was da an Daten von Netzwerk zu Netzwerk fließt.« Aber Amsterdam war Frankfurt dicht auf den Fersen, und war schon länger ein wichtiger Knoten als Frankfurt. Und London meldete zwar niedrigere Zahlen, rühmte sich aber seiner »unmittelbaren« Verbindungen, durch die ein großer Teil des Traffics nicht über den zentralen Switch läuft, sondern wie in Ashburn unmittelbar von Netz zu Netz ausgetauscht wird.
    Doch unabhängig von der Frage, welcher denn nun der größte war – die Existenz zentraler Knotenpunkte dieser Größenordnung faszinierte mich. Als ich mich auf die Suche nach dem Internet gemacht hatte, war ich davon ausgegangen, eine Vielzahl lose miteinander verbundener Einzelteile zu finden. Ich hatte mir das Internet als dezentral, formlos, nahezu unsichtbar vorgestellt. Ich hatte nicht erwartet, auf etwas Großes und Spezifisches zu stoßen, auf eine dröhnende Maschine im »Herzen« des Internets. Das klang für mich eher nach Science Fiction. Oder Satire. Aber genau das waren diese großen Internetknoten – nur waren sie völlig unbekannt, unscheinbar und irgendwie seltsam verteilt: Während sie manche Weltstädte bevölkerten, ließen sie andere links liegen. Ihre Geographie war eigenartig: Warum war Frankfurt wichtiger als Paris? Tokio wichtiger als Peking? Verbrachten die Deutschen mehr Zeit im Netz als die Franzosen? Oder lag es einfach an den geographischen Gegebenheiten? Spanien, erklärte mir Alan Mauldin, sei kein Drehkreuz und werde auch niemals eines werden, einfach weil es eine Halbinsel sei. Die geographische Lage entschied über das Schicksal. Sogar im Internet. Gerade im Internet.
    Aber mich interessierte nicht nur die Größe dieser Internetknoten und ihre wirtschaftliche Bedeutung aus analytischer Sicht, sondern ihre physische Realität. Wenn die Geographie tatsächlich eine so große Rolle spielte, wie es den Anschein hatte, dann musste das doch auch auf einer niedrigeren, spezifischeren Ebene gelten: auf der Ebene des Gebäudes oder des Serverschranks. Indem ich mir das bewusst machte, zog ich das Internet automatisch ganz in die reale Welt herüber. Und sobald es dort angekommen war, wollte ich es sehen, es anfassen, mir Gedanken über seine physische Gestalt machen. Wie sahen diese großen Internetknoten aus? Wie eine kleine schwarze Blechkiste mit einer blinkenden LED ? Wie eine riesige, insektenartige Konstruktion hinter Stacheldraht, die von Jupiterlampen angestrahlt wird? So wie Mauldin über den DE - CIX in Frankfurt sprach, war sein »Herzstück« offenbar eine echte Sehenswürdigkeit – so etwas wie der Grand Canyon oder die Niagarafälle des Internettouristen; etwas, wofür es sich auf jeden Fall lohnte, einen Ozean zu überqueren. Immerhin gab es im ganzen Internet keine Kiste, durch die mehr Daten flossen. Wenn das kein Grund war, sie in Augenschein zu nehmen oder gar ins Schwärmen zu geraten. Was würde ich bei ihrem Anblick empfinden?
    Andererseits war da die Frage der Sicherheit. Diese großen Internetknoten machten mich nervös. War eine solche Konzentration nicht gefährlich? Oder besser gesagt: War es gefährlich, wenn ich sie ausfindig machte – mit dem Ziel, darüber zu schreiben? Dass solche Nadelöhre überhaupt existierten, widersprach jedenfalls der landläufigen Vorstellung von der dezentralen Struktur des Internets. Je länger ich darüber nachdachte, desto paranoider wurde ich.
    Und dann kam ich, nicht lange nach meinem Besuch in Ashburn, bei der Landung in New York, wie soll ich sagen, unangenehm mit dem Gesetz in Berührung. Als die Maschine ans Gate rollte, machte der Pilot eine Durchsage und wies uns ohne weitere Erklärung an, auf unseren Plätzen sitzen zu bleiben. Zwei Kriminalbeamte in weiten Anzügen, die aussahen, als wären sie der Fernsehserie Law & Order entstiegen, marschierten zielstrebig den Gang entlang, gefolgt von einem Polizeibeamten in Uniform. Alle schreckten auf und reckten die Hälse über die

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