Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
wohl in meiner Haut war mir auch nicht. Denn was tat ich da eigentlich, bei Licht betrachtet? (»Ooch, wissen Sie, ich posaune nur Details über die kritische Infrastruktur hier in alle Welt hinaus.«)
Meine Sorgen waren unbegründet. Sooft ich ein unscheinbares Gebäude betrat, dem für das Funktionieren des Internets eine entscheidende Rolle zukam, passierte genau das Gleiche: Der Vorhang fiel nicht, er lüftete sich. Anstatt bei meiner Suche nach dem Netz im Dunkeln zu tappen, hatte ich eher das Gefühl, als gingen überall die Lichter an, und je besser jemand über die physische Infrastruktur des Internets Bescheid wusste, desto weniger Sicherheitsbedenken schien er oder sie zu haben. Wie sich herausstellte, waren die »geheimen« Orte, für die ich mich interessierte, in Wirklichkeit gar nicht so geheim. Die Verantwortlichen vor Ort führten mich bereitwillig herum und nahmen sich fast ausnahmslos viel Zeit, mir alles so zu erklären, dass ich es auch verstand.
Im Lauf der Zeit wurde mir klar, dass diese Offenheit nicht nur der Höflichkeit geschuldet, sondern vielmehr Ausdruck einer besonderen Sicht der Dinge war – einer Einstellung, die teilweise auf die legendäre Robustheit des Internets zurückging. Bei einem durchdachten Netzwerk sind Backups eingebaut; kommt es an einem bestimmten Punkt zu einem Ausfall, so wird der Traffic in Sekundenbruchteilen umgeleitet. Ein Ingenieur, der seine Hausaufgaben gemacht hat, muss sich also keine Sorgen machen. Die größte Gefahr für das Internet sind eher unaufmerksame Baggerführer oder übereifrige Hobbygärtner – wie im viel zitierten Fall jener fünfundsiebzigjährigen Georgierin, die mit ihrem Spaten ein unterirdisch verlegtes Glasfaserkabel durchtrennte, so dass Armenien 12 Stunden vom Internet abgeschnitten war.
Aber hinter und jenseits solcher Sorgen (beziehungsweise Sorglosigkeit) verbarg sich eine eher philosophische Überlegung: Das Internet ist eine durch und durch öffentliche Angelegenheit. Das konnte gar nicht anders sein. Wäre es geheim, woher sollten dann all die Netzwerke wissen, wo sie Verbindung zueinander aufnehmen können? Equinix in Ashburn zum Beispiel ist unbestreitbar einer der wichtigsten Netzknoten der Welt (und die Manager von Equinix wären die Letzten, die das bestreiten würden). Und wenn man bei Google Maps »Equinix, Ashburn« eingibt, weist ein freundlicher, roter Pfeil mitten auf das Firmengelände. Sieht man einmal von bestimmten totalitären Staaten ab, so muss ein Netzwerk nicht die Genehmigung einer zentralen Behörde einholen, um sich mit einem anderen Netzwerk zu verbinden. Es muss lediglich das andere Netzwerk davon überzeugen, dass sich das für beide Seiten lohnt. Oder, noch einfacher, das andere Netzwerk einfach dafür bezahlen. Das Internet ist wie ein Bazar, auf dem sich Hunderte von unabhängigen Marktteilnehmern tummeln und die Dinge unter sich regeln. Diese Dynamik lässt sich auf der physischen Ebene beobachten, in Gebäuden wie dem PA IX , dem Equinix in Ashburn und anderen, auf der geographischen Ebene, wenn Netzwerke sich so weiterentwickeln, dass ihre jeweiligen regionalen Stärken sich gegenseitig ergänzen, und auch auf der sozialen Ebene, wenn Netzwerktechniker gemeinsam das Brot brechen oder ein Bier trinken.
Wenn wir vor dem Bildschirm sitzen, dann bleiben für uns die Pfade, auf denen die Daten ihren Weg zu uns finden, völlig im Dunkeln. Vielleicht fällt uns auf, dass die eine Seite sich schneller aufbaut als die andere oder dass die Bildqualität bei Filmen aus der einen Online-Videothek immer besser ist als bei Filmen aus der anderen – was höchstwahrscheinlich an der geringeren Zahl an Zwischenstationen zwischen Dort und Hier liegt. Manchmal liegt der Grund auf der Hand. So erinnere ich mich gut an die Planung einer Reise nach Japan, bei der ich ungeduldig vor dem Rechner saß, während die Seiten sich im Schneckentempo aufbauten. Manchmal liegt die Sache nicht ganz so einfach. Vor kurzem habe ich mit einer Freundin geskypt und mich gar nicht mehr eingekriegt wegen der guten Bildqualität – bis mir eingefallen ist, dass sie denselben Internetprovider hat wie ich. Die Daten blieben innerhalb desselben Netzwerks. Aber wenn wir normalerweise eine Website aufrufen, eine E-Mail in unserem Posteingang landet oder eine Skype-Nachricht aufploppt, haben wir nicht die geringste Ahnung, auf welchen verschlungenen Wegen die Daten auf unserem Bildschirm gelandet sind, welche Strecke sie dabei
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