Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Rückenlehnen.
In diesem Augenblick schoss mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass sie meinetwegen hier sein könnten. Tags zuvor hatte ich einen besonders heiklen Bestandteil der Internetinfrastruktur besichtigt, den » NAP of the Americas«, ein Gebäude in der Innenstadt von Miami. Bei meinem Besuch hatte ich erfahren, dass es nicht nur als »Ashburn für Südamerika« diente, sondern auch ein wichtiger Knotenpunkt für die militärische Kommunikation ist. Ich hatte für diesen Besuch eine Erlaubnis eingeholt und hatte meine Absichten offengelegt, aber das beruhigte mich nicht wirklich. Mittlerweile hatte ich eine vollständige Karte des Internets im Kopf. Konnte es sein, war es auch nur entfernt denkbar, dass ich zu viel wusste – ohne mir dessen bewusst zu sein?
Mit jeder Reihe, die die Polizisten auf dem Weg nach hinten passierten, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sie meinetwegen gekommen waren. Neben mir saß meine Frau mit unserem Baby, und in meinem Kopf lief in Sekundenbruchteilen ein ganzes Drama ab, zusammengeschnitten aus Hunderten Fernsehsendungen: die Handschellen, die ausgestreckten Arme, der Zuruf »Ich liebe dich! Ruf meinen Anwalt an!«, die Werbepause.
Aber sie waren gar nicht hinter mir her, sondern hinter einem Typen zwei Reihen hinter uns, mit Baseballmütze, grauem Sweatshirt und dem Rucksack eines Fünftklässlers. Er ließ sich wortlos abführen. Er machte nicht den Eindruck, als wäre er sonderlich überrascht; aber er sah aus, als hätte er schon bessere Tage gesehen.
Einige Zeit später sprach ich mit zwei Männern, die sich seit vielen Jahren mit dem Aufbau der physischen Infrastruktur des Internets befassten. Das Interview fand in den Räumlichkeiten der Private-Equity-Gesellschaft statt, die ihr neuestes Projekt finanzierte, einem luxuriösen Büro hoch über den Dächern von Manhattan, mit dicken Teppichböden und impressionistischen Gemälden an holzgetäfelten Wänden. Die beiden beantworteten bereitwillig meine Fragen zu den wichtigsten Bestandteilen des Internets und erklärten, wie ihr neues Projekt sich in das Ganze einfügen werde. Aber anscheinend hatte ich den Bogen etwas überspannt.
Der Seniorpartner, im zweireihigen Anzug nebst Einstecktuch aus Seide, fiel plötzlich seinem redseligeren Kollegen ins Wort und fixierte mich über den massiv-eichenen Konferenztisch hinweg mit scharfem Blick. »Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen«, sagte er. »Erstellen wir mit diesem Buch einen Leitfaden für Terroristen? Indem Sie die ›Monumente‹ beschreiben, wie Sie es nennen? Wenn sie bekannt sind und beschädigt oder zerstört werden, dann trifft das nämlich nicht nur dieses eine Gebäude, sondern das ganze Land. Und ich frage mich, ob es so schlau ist, das in die Welt hinauszuposaunen.« Diese Anschuldigung erschreckte mich. Konnte es sein, dass meine Suche nach der physischen Infrastruktur des Internets gefährlich war? Hatte es vielleicht gute Gründe, dass das Internet verborgen war?
Ich kam ein wenig ins Stottern: Es war nicht meine Absicht, dem Internet zu schaden! Ich war ein begeisterter Fan des Internets! Ich versuchte zu erklären, dass es mir als Journalisten geboten schien, den Menschen diese Orte näherzubringen, weil nur dann die nötigen Mittel zur Verfügung stünden, sie ausreichend zu schützen. Davon war ich überzeugt, aber es schien mir aus seiner Sicht kein Argument zu sein. Also gab ich die Frage an ihn zurück. Ich wusste, dass ihnen die Aufmerksamkeit zupass kam; sie war gut für das Geschäft. Was war wichtiger: Publicity zu bekommen oder sich ruhig zu verhalten, möglicherweise ruhiger als die Wettbewerber? Er zuckte mit den Schultern, dann schleuderte er mir ein K. o.-Argument entgegen: »Wollen Sie derjenige sein, der sagt: ›Wenn ihr das Land lahmlegen wollt, müsst ihr hier angreifen‹?« Und dann redete er noch eine ganze Stunde weiter.
Aber wenn ich ehrlich bin, ließ mich seine Frage so schnell nicht los. Jedes Mal, wenn ich im Rahmen meiner Reise ins Innere des Internets an einem neuen Ort ankam, beschlich mich das ungute Gefühl, meine Reise könnte so exzentrisch sein, dass jeder, dem ich begegnete, fast zwangsläufig argwöhnisch werden und mir irgendwelche Hintergedanken unterstellen müsste. Ich bewegte mich abseits ausgetretener Pfade, schnüffelte in Gebäuden herum, für die sich, wenn überhaupt, kaum einer je interessierte. So paranoid, dass ich mich tatsächlich verfolgt fühlte, war ich zwar nicht, aber so ganz
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