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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
Vom Netzwerk:
zurückgelegt haben und wie lang sie unterwegs waren. Von hier draußen aus betrachtet scheint das Internet keine Konturen, keine stoffliche Beschaffenheit zu haben, und mit seltenen Ausnahmen gibt es auch kein »Wetter« – die Bedingungen sind jeden Tag gleich.
    Doch von innen betrachtet ist das Internet echte Handarbeit, es entsteht Verbindung für Verbindung und wächst unaufhörlich. Aufgrund der ständigen Zunahme des Datenvolumens muss auch das Internet sich ständig weiterentwickeln, sowohl was die Dicke der Leitungen angeht als auch in Bezug auf die geographische Ausdehnung der einzelnen Netze. Für die Ingenieure heißt das: Ein Netzwerk, das aus dem Gröbsten heraus ist, ist bereits am Dahinsiechen. Wie sagte doch Troyer über Ashburn: »Das Ziel einer Präsenz an einem Internetknoten wie unseren ist es, möglichst viele Vektoren zum logischen Internet zu haben. Je größer die Zahl der Vektoren, desto verlässlicher ist Ihr Netzwerk – und in der Regel auch billiger, weil Sie mehrere Optionen haben, ihren Traffic weiterzuleiten.«
    * * *
    Das Internet ist also genau deshalb eine öffentliche Angelegenheit, weil es das Ergebnis von Handarbeit ist. Neue Verbindungen können nicht einfach über einen automatisierten Algorithmus erstellt werden, sondern müssen zwischen zwei Netzwerktechnikern ausgehandelt und dann auf einem ganz bestimmten physischen Pfad aktiviert werden. Das lässt sich schwerlich im Geheimen bewerkstelligen.
    Die Herstellung von Verbindungen zwischen Netzwerken bezeichnet man als »Peering«. Im Prinzip versteht man darunter nichts anderes als eine Vereinbarung zwischen zwei Netzwerken über den gegenseitigen Austausch von Daten – aber das ist, als würde man »Politik« als die Tätigkeit des Regierens beschreiben. Peering setzt voraus, dass die beiden beteiligten Netzwerke »Peers« sind, also in Größe und Bedeutung gleichrangig, so dass sie Daten mehr oder weniger auf Augenhöhe austauschen können, ohne dass Geld den Besitzer wechselt. Doch die Frage, wer zur eigenen »Peer Group« gehört, ist in jedem Kontext eine heikle Angelegenheit. In der Welt des Internets wird die Sache dadurch verkompliziert, dass Peering auch »bezahltes Peering« heißen kann – dass zusätzlich etwas in die Waagschale geworfen wird, dessen Wert sich eindeutiger beziffern lässt als der von Daten. Peering in all seinen Feinheiten und Nuancen zu verstehen grenzt an Bibelauslegung. Um sich im Dschungel seiner im Prinzip frei zugänglichen Gesetze und Präzedenzfälle wirklich zurechtzufinden, muss man sich jahrelang mit der Materie beschäftigen. Und das hat enorme Auswirkungen. Peering ermöglicht im Internet einen freien und kostengünstigen Informationsfluss. Ohne Peering wären die Datenleitungen mit Online-Videos verstopft, so dass YouTube-Videos vermutlich nicht mehr umsonst wären und Internetanbieter um der niedrigeren Kosten willen weniger verlässliche Verbindungen in Kauf nehmen würden. Dadurch würde das Internet störanfälliger und teurer. Da so viel auf dem Spiel steht, ist das Knüpfen von Netzwerken nirgendwo sonst im Internet eine so ernste und mitunter auch nervenaufreibende Angelegenheit wie unter den Netzwerktechnikern, die mit Peering befasst sind.
    Um mir selbst ein Bild davon zu machen, wie das in der Praxis aussah, fuhr ich zu einem der dreimal jährlich stattfindenden Treffen der North American Network Operators’ Group ( NANOG ) nach Austin, Texas. Als ich im Hilton ankam, war das Hotelfoyer voller Menschen in Jeans und Fleecepullovern, die sich über ihre mit Aufklebern markierten Laptops hinweg leise miteinander unterhielten. Diese Leute sind die »Magier«, die hinter den Kulissen des Internets die Fäden ziehen – wobei »Klempner« vermutlich eine ebenso gute Analogie wäre. Für Laien hat ihre Aufgabe definitiv etwas Magisches. Gemeinsam wachen sie über ein weltumspannendes Nervensystem, das Erstaunliches zu leisten vermag, auch wenn der alltägliche Betrieb meistens Routine ist. Aber Routine hin oder her: Wir sind in einem erschreckenden Ausmaß vom Spezialwissen abhängig, über das nur diese Ingenieure verfügen. Wenn mitten in der Nacht bei einer der wichtigsten Leitungen des Internets eine Störung auftritt, dann weiß nur ein » NANOG er« Rat. (Ein schaler Witz auf der Tagung war denn auch die Frage, wer eigentlich das Internet am Laufen hielte, wenn im Hilton an jenem Wochenende eine Bombe hochginge.) Diese Spezialisten sind in erster Linie weder Bürokraten

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