Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
U-Bahn-Station wenige Minuten vom Zentrum begann und ein gutes Stück weiter draußen in den Vorstädten endete.
Unser erstes Rechenzentrum sahen wir bereits vom erhöhten Bahnsteig aus: Entlang eines Kanals, der zur Amstel führte, erstreckte sich ein düsterer Betonbunker von der Größe eines kleinen Bürogebäudes mit verwitterten blauen Fensterrahmen. Der Spätwintertag war grau und feucht, am Ufer lagen vertäute Hausboote im stillen Wasser. Meiner Karte nach gehörte das Gebäude Verizon, doch auf dem Schild an der Tür stand » MFS « – der kümmerliche Rest der »Metropolitan Fiber Systems«, jener Firma, für die Steve Feldman gearbeitet und die MAE -East betrieben hatte. Verizon hatte sie vor Jahren aufgekauft. Offenbar hatte man es nicht eilig, das nach außen hin zu kommunizieren; den neuen Eigentümern schien es am liebsten zu sein, das Gebäude wäre unsichtbar. Als Brown zum Haupteingang schlenderte und durch die abgedunkelten Fenster in die Eingangshalle spähte, hätte ich ihm beinahe eine Warnung zugerufen, als wären wir Kinder, die ein Geisterhaus auskundschaften. Ehrlich gesagt war ich nervös. Die Absperrungen, das Milchglas und die Überwachungskameras waren deutliche Hinweise, dass neugierige Blicke oder gar Besucher hier unerwünscht waren, und ich hatte nicht die geringste Lust, irgendjemandem erklären zu müssen, was wir hier eigentlich machten (und schon gar nicht, was ich die letzten Wochen gemacht hatte). Ob das Gebäude hier nun auf einer Karte verzeichnet war oder nicht – es sagte: »Verschwindet!«
Wir machten kehrt und näherten uns einem Rechenzentrum auf der anderen Seite des Kanals, das einen der zentralen Switches des AMS - IX beherbergte. Eigentümerin des Gebäudes war die Firma euNetworks, deren Geschäft im Wesentlichen darin besteht, Serverstellplätze zu vermieten, ähnlich wie es Equinix in Ashburn tut. Neben der Tür war ein Schild angebracht, und durch die Glaswände der Eingangshalle war eine freundliche Empfangsdame zu sehen. Doch als Brown und ich einmal um das Gebäude herum zur Rückseite gingen, zeigte es sich in seiner ganzen Tristheit: unten eine nackte, graue Backsteinwand bis zur nächsten Querstraße, darüber Wellblech. Die geheimnisvolle Atmosphäre wurde noch gesteigert durch das verrostete Wrack eines alten Citroën-Lastwagens, der auf der ansonsten leeren Straße parkte wie eine Requisite aus Mad Max. Wir umkreisten ihn und knipsten gierig Bilder. (Smithson: »Ich machte ein paar lethargische, entropische Schnappschüsse von diesem leuchtenden Monument.« 35 ) Es war eine zutiefst stimmungsvolle Szene: die verlassene Straße, die allzu nackte Backstein- und Wellblechfassade des Rechenzentrums, die aufgereihten Überwachungskameras, und – vor allem – das Wissen darüber, was hinter diesen Wänden vor sich ging. Das hier war nicht irgendein altes, leer stehendes Gebäude, sondern eines der wichtigsten Internetgebäude der Welt. So langsam machte mir die Tour Spaß.
Wir marschierten weiter, folgten einem breiten Radweg, wichen einigen Jungs aus, die gerade vom Fußballtraining nach Hause strampelten, und überquerten eilig ein paar viel befahrene Straßen. Nachdem ein angebliches Rechenzentrum sich als Bürogebäude entpuppt hatte (zu viel Glas), gingen wir einen Block weiter zu einer unauffälligen Blechhalle, die erstaunlich stabil aussah. Auch hier gab es keine Schilder, aber die Karte sagte mir, dass sie Global Crossing gehörte, dem großen internationalen Backbone-Betreiber, der von Level 3 übernommen worden war. Anfang der Woche hatte ich den Global-Crossing-Standort in Frankfurt besucht; die Familienähnlichkeit war unverkennbar. All diese in Europa verstreuten Gebäude waren zur gleichen Zeit unter der Leitung eines einzigen Wanderarchitekten entstanden. Das hier war ein Internetgebäude ersten Ranges, ein wichtiger Knotenpunkt im weltweiten Netz von Global Crossing. Die ersten Hinweise lieferten das Wellblech und die Überwachungskameras, das Charakteristischste war jedoch die Bauweise. Ein Baumarkt mag genauso groß und aus den gleichen Materialien gebaut sein, vielleicht gibt es sogar ein, zwei Überwachungskameras. Aber das Gebäude hier wirkte sichtlich bemüht, möglichst unscheinbar auszusehen – das architektonische Äquivalent eines Zivilstreifenwagens. Internetgebäude glänzen durch auffällige Unauffälligkeit; aber wenn man einmal einen Blick dafür entwickelt hat, sind sie unauffällig auffällig.
Mit jedem
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