Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
einer alternativen Methode, das Internet zu besichtigen und ein Gefühl für seinen Genius Loci zu bekommen: ein Spaziergang von Rechenzentrum zu Rechenzentrum.
Mir wurde bewusst, dass ich die letzten Wochen hinter elektronisch verschlossenen Türen verbracht und lange Gespräche mit den Leuten geführt hatte, die für ein reibungsloses Funktionieren des Internets sorgten. Jede dieser Begegnungen hatte ich geplant, vorbereitet und auf Band aufgezeichnet. Irgendein höheres Tier hatte seine Zustimmung gegeben. Ich hatte ein Namensschild bekommen und mich in eine Besucherliste eingetragen. Und trotzdem hatte ich oft das Gefühl, Scheuklappen zu tragen. Ich hatte vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen. Ständig hastete ich über irgendeinen Parkplatz, schnurstracks dem »Zentrum« entgegen. Fast immer waren die Tage so durchgetaktet, dass kaum Zeit blieb, innezuhalten und in Ruhe nachzudenken.
In Amsterdam stand ein Treffen mit Witteman und ein Besuch des zentralen Switches des Amsterdam Internet Exchange auf dem Programm – der holländischen Version dessen, was ich in Frankfurt gesehen hatte. Doch die Karte mit den Rechenzentren erschien mir als perfekte Ausrede, das Internet einmal auf eine andere Weise zu besichtigen, die etwas weniger Herumgeführtwerden und etwas mehr Verweilen in Aussicht stellte. Das Problem war, dass es im Fall des Internets schwierig war, einfach irgendwo aufzukreuzen. Anders als der Eiffelturm oder ein berühmter Staudamm haben Rechenzentren und Netzknoten keine Besucherzentren. In Amsterdam war das Internet jedoch so engmaschig – es gab so viel davon –, dass ich zwar nicht einfach an irgendwelche Türen klopfen und erwarten konnte, hereingebeten zu werden; aber ich konnte an einem Nachmittag einen Spaziergang zu ein paar Dutzend Internetgebäuden machen und Eindrücke sammeln, die eine ganz andere Antwort auf meine Frage geben würden, wie das Internet aussah . Architektur ist der Ausdruck von Ideen, selbst dann, wenn sie nicht das Werk von Architekten ist. Was ließ sich an der geographischen Infrastruktur des Internets in Amsterdam ablesen?
Der Künstler Robert Smithson hat einen wunderbaren Essay mit dem Titel Fahrt zu den Monumenten von Passaic geschrieben. In seiner abstrusen Phantasie werden die Industriebrachen von Passaic im Bundesstaat New Jersey so atmosphärisch wie Rom, und jeder Zentimeter verdient unsere betrachtende Aufmerksamkeit. Aufgrund der Penetranz, mit der Smithson den »Weißclown« gibt, hat der ganze Bericht jedoch etwas sehr Surreales. Unter seiner Feder werden die Sümpfe New Jerseys zu einer wahren Wunderwelt. »Vor dem Busfenster rauschte eine Howard Johnson’s Motor Lodge vorbei – eine Symphonie in Orange und Blau«, schreibt Smithson. Die großen Industriemaschinen waren an jenem Samstag nicht in Betrieb, »und das ließ sie wie im Schlamm stecken gebliebene prähistorische Kreaturen aussehen oder mehr noch wie ausgestorbene Maschinen – abgehäutete mechanische Dinosaurier.« 34 Worauf er hinaus will ist, dass es sich lohnt, auf Dinge zu achten, über die wir normalerweise hinwegsehen, dass Landschaften etwas Kunstvolles haben können und dass uns diese unkonventionelle Schönheit etwas Wichtiges über uns selbst mitteilen kann. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Ansatz auch beim Internet funktionieren könnte. Mithilfe jener Karte der holländischen Rechenzentren konnte ich überprüfen, ob ich richtig lag.
Als Begleiter auf dieser Wanderung konnte ich jemanden gewinnen, der das Internet berufsmäßig beobachtet – wenn auch mit etwas konventionelleren Methoden. Martin Brown arbeitet für Renesys, die Firma, die sich mit der Analyse der Internet-Routingtabelle befasst, und war vor kurzem, weil seine Frau dort einen Job bei einem Pharmaunternehmen bekommen hatte, nach ’s-Hertogenbosch umgezogen, eine niederländische Kleinstadt, die meist nur als »Den Bosch« (»der Wald«; von wegen!) bezeichnet wird. Brown ist eigentlich Programmierer, analysiert mittlerweile jedoch hauptberuflich die Routingtabelle des Internets; das Innenleben des Internets ist sein Metier. Vor allem seine Studie zum »Depeering«-Vorfall zwischen Cogent und Sprint hatte mich beeindruckt. Doch obwohl er so manches Rechenzentrum von innen kenne, so Brown, habe er sich nie die Mühe gemacht, diese Gebäude wirklich anzuschauen – schon gar nicht von außen. Wir verabredeten uns zu einer innerstädtischen, etwa 13 Kilometer langen Wanderung, die an einer
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