Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Flur stand. Natürlich gab es da draußen in der Welt viele weitere solche Kästen. Doch zugleich enthielt dieser eine Kasten eine ganze Welt. Ich war mit dem Internet noch lange nicht fertig. Die Essenz dessen, wonach ich suchte, war der Schnittpunkt eines Ortes und einer Technologie: ein einzigartiger Kasten in einer einzigartigen Stadt, ein realer Kreuzungspunkt in unserer virtuellen Welt. Eine nüchterne, geographische Tatsache. Nipper und ich fuhren an den turmhohen Kränen des Hafens vorüber.
Im Büro wühlte Orlowski lange in einem Schrank und kramte schließlich meine Belohnung hervor: Ein schwarzes T-Shirt, auf dem in gelben Lettern »I ♥ PEERING « stand. Dann zog er aus einer anderen Pappschachtel eine schwarze Windjacke mit einem kleinen DE - CIX -Logo auf der Brust heraus. »Tragen Sie die in Amsterdam«, sagte er augenzwinkernd. »Und grüßen Sie Job schön von mir.« Ihre Rivalität machte auch vor Prahlerei nicht halt.
Am Abend tippte ich schnell meine Notizen ab und kopierte die Audiodateien von meinem Diktiergerät auf meinen Laptop. Der Schreibtisch meines Hotelzimmers stand vor dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen, und auf den Straßen lärmte der Feierabendverkehr. Eine Tram ratterte vorbei. Dann schickte ich das Ganze, als zusätzliche Sicherheit und um einen Rest von Paranoia zu besänftigen, an einen Online-Datensicherungsdienst, der seine Zelte, wie ich vor kurzem gelernt hatte, in einem »Datenlager« in Virginia aufgeschlagen hat, bewusst in der Nähe von Ashburn. Ich verfolgte auf meinem Bildschirm, wie der Statusbalken langsam wuchs, während die großen Audiodateien dorthin übertragen wurden. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, welchen Weg die Bits nahmen. Die weißen Flecken auf der Karte wurden weniger.
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Nach dem tristen Grau von Frankfurt war Amsterdam eine willkommene Abwechslung. Als ich aus der Tram ausstieg, erwartete mich ein milder Frühlingsabend auf dem geschäftigen Rembrandtplein, einem der wohnzimmerähnlichen Plätze im Zentrum von Amsterdam. Auf schweren schwarzen Fahrrädern ratterten gut aussehende Paare mit wallenden Mänteln wie Flügeln vorbei. Vergessen Sie die Klischees wie Hasch und Huren. Die Freizügigkeit Amsterdams schien mir viel tief greifender, ernsthafter zu sein. Ich durchstreifte ruhige Seitenstraßen entlang der Kanäle und blickte durch vorhanglose Fenster in Wohnzimmer mit eleganten, modernen Kronleuchtern und jeder Menge Büchern. Es erinnerte mich an daheim in Brooklyn – oder Breukelen, wie die Holländer sagen – mit unseren Gehwegen entlang ähnlich dicht gedrängter Reihenhäuser.
In seinem Buch New York – Insel in der Mitte der Welt schreibt Russell Shorto, der holländische Geist der Offenheit habe in der DNA von New York und Amerika insgesamt deutliche Spuren hinterlassen. Zum Ausdruck komme das in der großzügigen Toleranz gegenüber Unterschieden und in dem unerschütterlichen Glauben, dass die Leistungen eines Menschen wichtiger sind als seine Herkunft. 32 Es fühlte sich seltsam an, diese Eigenschaften auf das Internet zu übertragen – war das Netz nicht staatenlos, flüchtig, ja postnational? Die rechtwinkligen Glasscheiben unserer Bildschirme und die Browserfenster dahinter haben mehr dazu beigetragen, dass die Welt gleichförmiger geworden ist, als die Allgegenwärtigkeit von McDonald’s und Co. Online waren politische Grenzen weitgehend unsichtbar, eingeebnet vom Triumvirat aus Google, Apple und Microsoft. Aber Amsterdam sollte diese Sichtweise auf den Kopf stellen. Wie sich zeigte, war das holländische Internet eine zutiefst holländische Angelegenheit.
Der Amsterdam Internet Exchange wurde von der niederländischen Regierung von Anfang an als »dritter Hafen« der Niederlande gepriesen – als Anlaufstelle für Bits, so wie Rotterdam eine Anlaufstelle für Schiffe und Schiphol für Flugzeuge war. Für die Niederländer war das Internet nicht mehr und nicht weniger als die neueste Technologie, die in einer langen Ahnenreihe stand und die es zum Wohle der Nation zu nutzen galt. »In den Niederlanden waren Forts, Kanäle, Brücken, Straßen und Häfen stets in erster Linie von militärischer Bedeutung, haben sich dann jedoch im Lauf der Zeit als sehr nützlich für den Handel erwiesen«, heißt es in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1997. »Damit die Niederlande sich eine ordentliche Scheibe vom elektronischen Handel abschneiden können, einem Bereich, in dem zukünftig der Umsatz von Hunderten
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