Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Stück Gemeindewiese geh[t], durch Schneepfützen, unter einem bewölkten Himmel«. Doch selbst auf dieser wenig aufregenden, kleinen Reise verspürt er »vollendete Heiterkeit. Meine Freude grenzt fast schon an Furcht. […] Ich werde ganz zum durchscheinenden Auge; ich selbst bin nichts und sehe doch alles.« 37 Auf meiner Reise ins Innere des Internets entpuppte sich das Routerlabor als meine kahle Gemeindewiese. Und was ich dort sah, war nicht die Essenz des Internets, sondern seine Quintessenz – nicht der Kabelsalat, sondern das Licht.
Aber was folgte daraus? Wie ich so auf einer Bank saß und mir Notizen machte, begann ich mich zu fragen, ob diese Erkenntnis meine ganze Pilgerreise rückwirkend entwertete. Schließlich ging es hier nicht um Gebäude oder Städte, sondern um den Nanobereich. Was, wenn es besser war, das Internet nicht als einen Ort zu begreifen, sondern als »fleischgewordene Mathematik«, wie man in Anlehnung an Konrad Zuse sagen könnte? Nicht als konkrete, greifbare Kabel, sondern als flüchtige, mit Worten nicht zu erfassende Zahlen? Doch dann war es an der Zeit, mich auf den Weg zum Flughafen zu machen, und einmal mehr wurde mir klar: Trotz aller erstaunlichen technischen Fortschritte – die Erde an sich war und blieb ebenso zwingend bestehen wie die Lichtgeschwindigkeit und das menschliche Bedürfnis, sich mit anderen auszutauschen. Die Übertragungskapazitäten mögen ständig steigen, aber Kalifornien, New York und London rücken deshalb nicht näher zusammen, das wurde mir auf dem quälend langen Heimflug nach New York deutlich vor Augen geführt. Die Welt war so groß wie eh und je. Wie groß, darüber konnte ich wieder einmal nur staunen, als ich nach der Landung auf dem JFK im Taxi saß und wir im Schneckentempo durch die vertrauten Straßen zuckelten. Wenn das Internet aus Licht bestand, was war dann dieses andere Zeug , das Gebäude durchflutete, ganze Viertel erleuchtete, die Skyline von New York am Nachthimmel funkeln ließ?
* * *
Im Dezember 2010 gab Google bekannt, für 1,9 Milliarden Dollar das Gebäude in der Eighth Avenue Nr. 111 in Manhattan gekauft zu haben. 38 Es war in jenem Jahr der größte Immobiliendeal in den gesamten USA . Das gigantische Gebäude füllt einen ganzen Häuserblock und hat eine Fläche von insgesamt fast 280 000 Quadratmeter; es war bereits seit 2006 die Google-Zentrale in New York. Den Angaben der Manager zufolge brauchte die Firma das Gebäude, um Platz für ihren immer größer werdenden Mitarbeiterstab zu schaffen. Derzeit würden dort 2000 Menschen arbeiten, und jeden Monat würden weitere eingestellt. Das Gebäude selbst zu besitzen verschaffe ihnen die Flexibilität, die sie langfristig bräuchten.
Insider, die sich mit der Infrastruktur des Internets auskannten, zogen bei dieser Erklärung jedoch die Augenbrauen hoch. Eighth Avenue Nr. 111 bot nämlich nicht nur erstklassige Büroflächen in Top-Lage, das Gebäude war zufällig auch einer der wichtigsten Orte der Welt, an denen Netzwerke zusammentrafen, und in New York auf jeden Fall unter den drei wichtigsten. Wenn Google es kaufte, war das in etwa so, als würde die Lufthansa den Frankfurter Flughafen kaufen und behaupten, man habe sich nur die Parkhäuser sichern wollen. Allein Equinix mietete zu diesem Zeitpunkt fünftausend Quadratmeter des Gebäudes – und es war hier anders als in Ashburn oder Palo Alto beileibe nicht der einzige Mieter. Zahlreiche weitere Rechenzentren und Netzwerkbetreiber waren hier vertreten. Das ganze Gebäude, das alle nur »One-eleven« nennen, ist im Grunde ein einziger Internetknoten, in dem die zahllosen Glasfaserverbindungen zwischen den einzelnen Mietern ein komplexes Geflecht bilden.
Was mich bei diesem Immobiliendeal hellhörig werden ließ, war ein Detail in einem Zeitungsartikel, das Googles Interesse erklären sollte: One-eleven lag unmittelbar an einer Datenautobahn, dem »Hudson Street/Ninth Avenue Fiber Highway«. 39 Wenn man das so las, klang es so, als ginge es um den Hudson River oder eine Hauptverkehrsader wie den Brooklyn-Queens Expressway. Doch als ich mich ein wenig umhörte, stellte sich heraus, dass es sich dabei letztlich nur um eine Schöpfung findiger Immobilienmakler handelte. Nicht dass es dort nicht jede Menge Glasfasern gäbe – massenweise sogar –, aber nicht nur unter der Ninth Avenue. New York war voller solcher »Glasfaser-Autobahnen«.
Wenn ich im Alltag durch die Stadt ging, ließ mich der Gedanke nicht los, dass
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