Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
ein Nein. Diese Kaugummischachtel kann davon zehn Milliarden pro Sekunde verarbeiten – zehn Gigabit an Daten. Man konnte es in eine Schnittstellenkarte hineinstecken wie eine Zündkerze. Dann wird die Schnittstellenkarte in das Chassis geschoben wie ein Blech in den Ofen. In einem komplett »bestückten« MLX -32 stecken weit über einhundert solcher Module. Insgesamt kann der Router so einhundert Mal zehn Milliarden, also eintausend Milliarden Bits pro Sekunde verarbeiten – ein »Terabit«, einen Wert, den der MLX -32 in Frankfurt am Montagnachmittag meines Besuches fast ausschöpfte.
»Das ist nur der derzeitige Stand der Technik«, sagte Westesson. »Der nächste Schritt sind einhundert Gigabit pro Sekunde. Eine einzige Glasfaser kann dann einhundert Milliarden Bit pro Sekunde übertragen.« In Tests gab es das bereits. »Gig« war ein Wort, das ich zurzeit fast jeden Tag hörte. Aber wenn man sich jedes Bit einzeln vorstellte, nahm das Ganze konkrete Gestalt an.
Alles, was Westesson mir erzählte, drehte sich um die »Dicke« der Leitungen, darum, wie viele Daten pro Sekunde durch einen Router strömen. Mich interessierte aber auch, was das für die Geschwindigkeit der einzelnen Bits bedeutete: Wie schnell waren sie unterwegs? Wie sich herausstellte, war das ein heikler Punkt. »Einige unserer Kunden schauen sich vor allem an, wie lange es dauert, bis ein Router ein Datenpaket weitergeleitet hat. Das liegt normalerweise im Bereich von Mikrosekunden, also ein Millionstel einer Sekunde«, so Westesson. Doch im Vergleich zu der Zeit, die ein Bit beispielsweise von der Ost- bis an die Westküste der USA unterwegs ist, sind die Mikrosekunden, die es vom Router aufgehalten wird, eine Ewigkeit. Das ist ungefähr so, als würde man zehn Minuten zur nächsten Post laufen und dann eine Woche lang rund um die Uhr in der Schlange stehen. Bei einer Reise durch das Internet waren die Maschinen von Brocade bei aller Leistungsfähigkeit die vom Datenverkehr verstopften Städte. So unvorstellbar es klingt: Eine Millionstelsekunde ist schrecklich lang.
Nach den Gesetzen der Physik sollte ein ungebremstes Bit den einen Kubikmeter großen Router in fünf Milliardstel einer Sekunde oder fünf Nanosekunden durchqueren können. Westesson rechnete es mir vor, indem er mit einem Druckbleistift Zahlen auf ein Stück Papier kritzelte: die Größe des Routers geteilt durch die Geschwindigkeit von Licht innerhalb von Glasfasern. Dann überprüfte er seine Rechnung mit dem Rechenprogramm seines Computers – was etwas Komisches hatte, denn von all dem, was wir unseren Computern zutrauen, sind solche Matheaufgaben so ziemlich das Letzte. Er zählte am Bildschirm die Nullen ab. »Hier haben wir die Millisekunden … hier die Mikrosekunden … und das hier drückt man normalerweise in Nanosekunden oder Milliardstelsekunden aus.« Ich ließ mir die vielen Nullen auf dem Bildschirm einen Augenblick durch den Kopf gehen. Und als ich aufblickte, sah ich die Welt mit anderen Augen. In den Autos, die draußen auf dem Highway 87 vorbeirauschten, liefen in jeder Sekunde Millionen von Rechenprozessen ab – in Autoradios und Handys, Armbanduhren und Navigationsgeräten. Alles um mich herum wirkte plötzlich auf völlig neue Weise lebendig: die PC s, der LCD -Bildschirm, die Türschließanlagen, die Rauchmelder und die Schreibtischlampen. Im Labor stand ein Wasserspender mit einer grünen LED – und einer eingebauten Leiterplatte! Selbst die Luft schien elektrisch aufgeladen, mit Milliarden von logischen Entscheidungen pro Sekunde. Alles um uns herum beruht heutzutage auf diesen Prozessen, auf dieser Mathematik. Nur tief im Wald kann es gelingen, sie auszuschalten, und selbst dort nicht zu einhundert Prozent. Normalerweise, in der Stadt – vergessen Sie’s. Die vernetzten Systeme sind allgegenwärtig: Handys, Straßenlaternen, Parkuhren, Backöfen, Hörgeräte, Lichtschalter. Doch all das war unsichtbar. Um es zu sehen, musste man es sich vorstellen, und in diesem Augenblick konnte ich das.
Doch mittlerweile hatte Westesson festgestellt, dass er zu spät zu seinem nächsten Termin kommen würde, und wurde ein wenig unruhig. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht oft zu spät kam. Er brachte mich zum Aufzug. »Leider haben wir gerade mal ein bisschen an der Oberfläche gekratzt«, sagte er. Mir kam es jedoch so vor, als seien wir ziemlich weit gekommen. In seinem Essay Natur beschreibt Ralph Waldo Emerson, wie er »im Zwielicht über ein kahles
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