Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Abend, an dem es minus zehn Grad hatte, ist uns das verdammte Zeug in den Handschuhen gefroren und auf der Winde. Es ist vom Kabel abgeplatzt, sobald es herauskam. An dem Abend wünschte ich, ich hätte die Schule zu Ende gemacht. Aber ich mag meinen Job. Ich bin klaustrophobisch veranlagt. Drinnen halte ich es gar nicht aus.«
Eine Straße weiter kam das Ende des Kabels neben dem nächsten Lastwagen zum Vorschein, halb gezogen und halb von Seales’ Winde geschoben. Die Jungs drüben brachten es mit gleichmäßigen, rhythmischen Schritten in die richtige Position, wobei sie ihre Beine überkreuzten und mit den Armen wedelten wie Doo-Wop-Sänger. Wie bei einem Squaredance im Viervierteltakt formten sie das Kabel zu einer Acht und legten die beiden Hälften aufeinander. Es sah aus, als wollten sie einen Korb von der Größe eines Whirlpools flechten.
»Einige von diesen Rohrleitungen sind achtzig oder hundert Jahre alt«, erzählte Seales. »Sie wurden verlegt, als die Stadt gebaut wurde. Heute Nacht haben wir es mit sechs Zentimeter dicken Eisenrohren zu tun, die sehr alt sind. Aber unten drunter gibt es rechteckige Leitungskanäle aus Terrakotta, bestehend aus Teilen von jeweils sechzig Zentimetern Länge, die von Maurern verlegt wurden.« Die Revisionsschächte sind zum Teil schön gestaltet, mit geschwungenem Gewölbe. Seales kann zu jedem einzelnen eine Geschichte erzählen – etwa über den »Sechsender«, der gegenüber von der Avenue of the Americas Nr. 32, einem weiteren großen Internetgebäude Manhattans, liegt und immer voller Wasser ist. Am Morgen des 11. September sollte Seales eigentlich Kabel ins World Trade Center verlegen. Stattdessen arbeitete er im Keller der Broad Street Nr. 75 daran, Kabel vom World Trade Center weg zu verlegen. Das war sein Glück. »Am Abend zuvor hab ich mir die Route auf der Karte angeschaut und mir gesagt: ›Wenn es länger dauert als gedacht, dann sind wir in den Morgenstunden auf dem West Side Highway, und die Verkehrsbehörde scheucht uns weg.‹« Also drehten sie die Route um. Als die Zwillingstürme einstürzten, »als die Kacke am Dampfen war«, war er am anderen Ende des Kabels, und er und seine Leute waren in Sicherheit.
Wir fuhren im Lastwagen zum nächsten Schacht, zwei Straßen weiter. Während wir gemütlich mitten auf der Straße dahinrollten, folgte die Rohrleitung unter uns ihrem eigenen verschlungenen Weg. Diaz stieg aus, und Seales manövrierte den Lastwagen in Position, so dass die Winde sich genau über dem Revisionsschacht befand, um das Kabel durchzuziehen. Der riesige Reifen rollte näher und immer näher an den Rand, bis ich mir sicher war, dass er hineinrutschen würde. »Da kann nichts passieren, der hat Doppelreifen«, beruhigte mich Diaz. Der gewerkschaftliche Prüfer schaute im Scheinwerferlicht des Lastwagens seine Papiere an, und aus Jux tippte Seales ihn mit dem Stoßfänger seines Zweitonners vorsichtig an. Der Prüfer ließ vor Schreck den ganzen Papierkram fallen. Auf dem Gehweg stolzierten zwei Frauen in hochhackigen Stiefeln vorbei. »Für was hab ich dich eigentlich dabei«, neckte Diaz den Prüfer, »wenn du nicht die Augen für mich offen hältst? Da wären grad zwei vorbeigekommen.«
Als alle bereit waren, krächzte das Funkgerät: » LOS LO S LOS .«
» LOS LOS LOS «, brüllte Diaz zurück. Eine Zeit lang lief die Winde rund, dann rutschte das gelbe Seil plötzlich von der Winde. »Oh«, sagte Diaz. »Ganz schlecht.« Die Arbeiten stockten, während sie nach der Ursache des Problems suchten. Irgendwo unter der Straße hatte sich das Kabel verfangen.
»Ich hab die Route selbst präpariert«, sagte Seales zu seiner Verteidigung. »Ich habe schon oft auf dieser Strecke gearbeitet, für viele verschiedene Kunden.« Wie sich herausstellte, war das Problem ein Abschnitt, auf dem das Kabel weder in einem Leitungsrohr verlief noch in einem der Plastikrohre, die die Revisionsschächte überbrückten. Die »Nase« (die Stelle, wo das gelbe Seil mit dem Kabel verbunden war) hatte sich verfangen. Diaz rüttelte es frei und rief sein » LOS LOS LOS « ins Funkgerät. Während das Kabel an ihm vorüberglitt, versuchte Seales mit zugekniffenen Augen durch die Lesebrille die Länge abzulesen, die alle sechzig Zentimeter markiert war. »Diese verfluchten Zahlen werden auch immer kleiner«, fluchte er. Das andere Team konnte den Feierabend nicht erwarten und erhöhte die Drehzahl der Winde. Seales beschwerte sich über Funk. »Langsamer,
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