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Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)

Titel: Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blum
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Infrastruktur der Stadt zu kümmern.
    Seales war schon seit 16 Jahren für Hugh O’Kane auf den Straßen von New York unterwegs. Zuvor hatte er 18 Jahre lang Kupferkabel entlang der New Yorker U-Bahn-Gleise verlegt. Mit seinen silberweißen Haaren und der spitzen Nase sah er aus wie George Washington. Diaz war jünger und stämmiger, hatte dunkle Haare und ein Gesicht, das ständig in Bewegung war. Am St. Patrick’s Day nennt Seales ihn Eddie O’Diaz. Beide hatten Funkgeräte dabei, die mit einem Clip am Träger ihrer Latzhosen befestigt waren. Damit es kein Kreischen gab, wenn sie zu nahe beieinander standen, deckten sie ihren Lautsprecher jeweils ab, wenn ihr Kollege funkte, so als würden sie eine Hand aufs Herz legen.
    Das Kabel auf der Ladefläche war ein einziger, zusammenhängender Strang von Glasfasern. Ein Ingenieur hatte am Reißbrett die Route auf einer großen Karte des Viertels markiert – den Verlauf des Kabels mit einem dicken roten Strich, und jeden Schacht, an dem es vorbeikommen würde, mit einem Kringel. In dieser Form hatte das Ganze nichts Elektronisches. Es ging um ganz normale Lichtwellenleiter, den kleinsten gemeinsamen Nenner des Internets. Eine Glasfaser ist eine Glasfaser – alles, was sie zu tun hatten, war damit das eine Ende der Stadt mit dem anderen zu verbinden.
    An diesem Abend sollte im Netz von Lightower eine Querverbindung zwischen den beiden Hauptsträngen installiert werden, die unter den Verkehrsadern Broad Street und Trinity Place verliefen. Das unmittelbare Ziel war, auf Bestellung eines einzigen Kunden mit (offensichtlich) erheblichem Datenverkehr das Gebäude Broadway Nr. 55 »ans Netz« zu bringen. Langfristig sollte die neue Glasfaserleitung unterwegs weitere Kunden versorgen. Sie funktionierte nach einem unumstößlichen physikalischen Gesetz: Ein Lichtsignal, das am einen Ende eingespeist wird, kommt am anderen Ende wieder heraus. Die Beschaffenheit des Lichts ist eine Wissenschaft für sich – wie viele Daten gleichzeitig übertragen werden, wird von Rhythmus und Wellenlänge der Signale bestimmt, und die wiederum hängen davon ab, welche Maschinen an den beiden Enden angeschlossen sind. Aber all das ändert nichts daran, dass man eine durchgängige Verbindung braucht. Einzelne Glasfasern können zusammengefügt werden, indem man die Enden schmilzt, wie bei Kerzen – allerdings ist das schwierig und zeitaufwendig. Der Weg des geringsten Widerstands jedenfalls wird dadurch nicht unterbrochen. Hoffentlich jedenfalls.
    In der Woche davor hatten Seales und Diaz die Route vorbereitet. Mithilfe eines Fiberglasstabs, den man ausklappen konnte wie einen Meterstab, hatten sie ein gelbes Nylonseil durch das Leitungsrohr gefädelt und es unterwegs bei jedem Revisionsschacht verknotet. Dann präparierten sie die einzelnen Schächte, indem sie die Lücke jeweils mit einem Plastikrohr überbrückten, damit das Kabel eine Führung hatte. An diesem Abend würden sie mithilfe des Nylonseils das insgesamt fast vierhundert Meter lange Kabel durchziehen. Anfangen würden sie in der Mitte der Strecke, die zufällig auch der höchste Punkt war: am geologischen Rückgrat der Insel, dem Broadway.
    Dabei arbeiteten sie mit zwei anderen Teams zusammen, so dass das Kabel an einem Revisionsschacht eingefädelt und vom nächsten aus durchgezogen wurde. Als alle auf ihren Posten waren, hüpfte Diaz in das Loch. Er fungierte in dieser Eimerkette als Zwischenstation. Oben auf der Straße wickelte Seales das gelbe Führungsseil um die Winde des Lastwagens und gab das Ende dann weiter an Diaz. Das Kabel würde aus dem Revisionsschacht herauskommen, sich um die Winde wickeln und dann den Weg zur nächsten Station antreten, wo das ganze Spiel wieder von vorn losging. Der Motor des Lastwagens brummte im Leerlauf, der orangefarbene Warnpfeil blinkte entgegen dem Rhythmus der Ampel, deren Lichter sich in der nassen Straße spiegelten. Als per Funkspruch das Kommando kam – »Fertigmachen an der Winde, Los LOS LOS !« – legte Seales den besenstielgroßen Hebel hinten am Lastwagen um und arretierte ihn mit einem Brett. Während das Kabel an ihm vorüberglitt, schmierte Seales es mit einer gelblichen Mischung, die die Arbeiter als »Seife« bezeichneten und die er mit bloßen Händen aus einem Eimer herausholte. »Ein Gleitmittel, wie K-Y Jelly oder so«, sagte Seales. »Das hier ist dreckig. Am Anfang ist es weiß.«
    Diaz rief aus dem Loch herauf: »An einem Freitag vor ein paar Wochen, an so einem

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